Eine Verteidigung von Greta Thunberg

von Jonathan Symons (Übersetzung: Simon Friederich)

Dieser Text stammt aus Ecomodernism: Technology, Politics and the Climate Crisis by Jonathan Symons. Der angepasste Text wurde im Breakthrough Journal No 11, Summer 2019 veröffentlich. Das Buch finden Sie hier.

Warum Verschwörungstheorien über Extraktivisten den Kampf gegen die globale Erwärmung behindern

 Viel zu lange sind die Politiker und Mächtigen damit davongekommen, nichts gegen die Klima- und Umweltkrise zu unternehmen. Aber wir werden dafür sorgen, dass sie damit nicht mehr davonkommen.

-Greta Thunberg, Rede anlässlich einer Protestaktion der Extinction Rebellion, London, 21. April 2019

Greta Thunberg hat außergewöhnlichen Einfluss. Kurz nachdem sich meine Nichte und mein Neffe Thunbergs Bewegung „Schulstreiks fürs Klima“ angeschlossen hatten, haben sie aufgehört, Fleisch zu essen. Um übermäßig aufwändige Mahlzeiten zu vermeiden, sind meine Schwester und ihr Mann nebenbei zu Vegetariern geworden. Die Besuche des ernsten, klimabesessenen, vegetarischen Onkels sind noch nie so gut gewesen.

Die Schulstreikbewegung hat auf vielen kulturellen Ebenen Einfluss. Ein Vorteil, den Schüleraktivisten haben, ist, dass sie die praktischen Fragen darüber vermeiden können, wie mit dem Klimawandel umgegangen werden soll. Solange sie in die Komplexität der moralischen Verantwortung Erwachsener erst noch hineinwachsen, ist es in Ordnung für Jugendliche, dass sie die Dinge einfach so beschreiben, wie sie sehen: Klimaschutz hat dringende Priorität; es sollte mehr getan werden; die Verantwortlichen haben versagt. Die Schulstreikbewegung von Thunberg hat außerdem ihre Freunde und Feinde weise ausgewählt. Auf emotionaler Eben unterscheidet Thunberg zwischen „wir, die wir etwas bewegen“ und den „Mächtigen“, die „nichts tun.“ Auf analytischer Ebene betont sie den Vorrang der Politik und die Tatsache, dass notwendige Veränderungen in erster Linie institutionell und nicht individuell sind. Thunberg kritisiert zwar den Konsum der westlichen Gesellschaften, aber sie sieht die Schuld vor allem bei der politische Klasse.

Die Klimabewegung der Erwachsenen stellt sich nicht immer so geschickt an. „Wir stecken fest“, schreibt Naomi Klein, „weil die Maßnahmen, die uns die besten Chancen geben würden, eine Katastrophe abzuwenden – und der überwiegenden Mehrheit zugute kämen –, eine elitäre Minderheit extrem bedrohen, die unsere Wirtschaft, unseren politischen Prozess und die meisten großen Medien im Würgegriff hat.“ In Kleins Dämonologie sind die Schurken eine winzige, habgierige, „extraktivistische“ Elite. Das Problem mit dieser Elite ist nicht nur, dass ihre Mitglieder mit ihren Privatjets und Luxusyachten unmittelbar für gewaltige Emissionen verantwortlich sind. Extraktivisten nutzen ihre politische Macht auch, um unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verlängern.

Kleins Weltbild wird durch Berichte verstärkt, die behaupten, dass nur eine Handvoll Unternehmen für die meisten Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. Schlagzeilen wie „Bloß 100 Unternehmen sind für 71% der globalen Emissionen verantwortlich“[i] erwecken den Eindruck, dass wir den Klimawandel überwinden können, indem wir einfach die Macht dieser Unternehmen brechen. Wir können ihrem bösartigen Einfluss ein Ende setzen, so wird uns gesagt, indem wir ihre Aktien abstoßen, ihre Kraftwerke blockieren und ihre Minen dich machen – eine Strategie, die Klein „Blockadia“ nennt. Sobald wir das Joch der unternehmerischen Zwangsherrschaft abgeschüttelt haben, werden wir endlich frei sein, eine egalitäre Gesellschaft aufzubauen, die ausschließlich von den „reichlich vorhandenen Energien auf der Oberfläche unseres Planeten“ angetrieben wird. In dieser Sichtweise sind „Extraktivismus“ und „Blockadia“ mit einander ringende Kräfte der künftigen Klimapolitik – ähnlich wie zuvor Kapital und Arbeit. Wenn die Gewinne des Extraktivismus an eine kleine Unternehmenselite fließen, während das Klima für die normalen Arbeitnehmern immer schlimmer wird, dann scheint die Bekämpfung des Klimawandels ein einfaches Problem der politischen Organisation zu sein. Und progressive Aktivisten wissen, wie man bei diesem Spiel gewinnt.

Klein kontrastiert ihre Strategie des populistischen Protests mit der von „Moderaten“, die versuchen, die Klimadebatten „neu zu gestalten“, um „den Mitgliedern einer panischen, größenwahnsinnigen Elite zu versichern, dass sie trotz der überwältigenden Beweise für das Gegenteil immer noch die Herren des Universums sind.“[ii] Klein weist ihre Anhänger an, sich stattdessen der Macht und den Wünschen dieser Eliten zu widersetzen. „Man muss dafür sorgen, dass Man genügend Leute auf seiner Seite hast, um das Kräfteverhältnis zu verändern und es mit den Verantwortlichen aufzunehmen“, schreibt sie und schränkt ihren Begriff von „den Verantwortlichen“ auf die einzelnen Schurkenunternehmen ein, die sie anklagt.

Bei der Frage, wer eigentlich verantwortlich ist, kommt jedoch Thunbergs Analyse der Wahrheit viel näher. Thunberg glaubt, dass alle in reichen Ländern wie Schweden für den Klimawandel mitverantwortlich sind. Sie wundert sich: „Selbst die meisten Klimawissenschaftler oder grünen Politiker fliegen immer wieder um die Welt und essen Fleisch und Milchprodukte.“ Der Grund, warum sie die reichen Länder auffordert, in etwa sechs Jahren alle Emissionen auf Null zu senken, ist, „damit die Menschen in den ärmeren Ländern die Chance haben, ihren Lebensstandard zu erhöhen, indem sie einen Teil der bereits von uns errichteten Infrastruktur wie Straßen, Schulen, Krankenhäuser, sauberes Trinkwasser, Strom usw. aufbauen.“[iii] Ich stimme vielleicht nicht mit Thunbergs Überzeugung überein, dass radikale Einschränkungen des individuellen Konsums eine plausible oder wünschenswerte Klimalösung darstellen, aber ich teile ihr Bestreben nach einer universellen menschlichen Entwicklung durch öffentliche Infrastruktur und Dienstleistungen. Und ich denke, dass ihre Perspektive auf internationale Ungleichheiten, ihre Größenvorgaben und ihre Überzeugungen darüber, wessen Konsum für die Klimakrise verantwortlich ist, mit den bekannten Tatsachen übereinstimmt.

Ich denke übrigens wie Klein, dass mehr Gleichberechtigung und Umverteilung Voraussetzung für eine gerechte und effektive Klimapolitik sind. Aber ich kann nicht bestätigen, dass es politisch nützlich oder richtig ist zu behaupten, dass alle – bis auf eine winzige extraktivistische Elite – von den Zwangsmaßnahmen profitieren würden, die notwendig wären, um eine Erwärmung von gefährlichem Ausmaß ohne radikale technologische Innovationen abzuwenden. Klein kann außerdem nicht wahrhaben, was Thunberg bereitwillig anerkennt: Die Ära der fossilen Brennstoffe hat den einfachen Menschen Vorteile gebracht, genau wie den Wirtsschaftsbossen. Mit der Anerkennung dieser Tatsache, so Thunberg, muss jede politische Reaktion auf den Klimawandel beginnen.

1.

Als der fünfte IPCC-Bericht im April 2014 veröffentlicht wurde, behaupteten einige Medienberichte, dass er „zensiert“[iv] worden sei. Drei Grafiken – die erste zeigt die historischen Emissionen nach Regionen, die zweite die Pro-Kopf-Emissionen und die dritte die im Handelsvolumen versteckten Emissionen – wurden aus der „Zusammenfassung für Entscheidungsträger“ gestrichen. Die Behauptungen, dass es Zensur gegeben habe, waren wohl übertrieben, aber die Geschichte der gelöschten Grafiken ist aufschlussreich. Jeder IPCC-Bericht enthält eine separate „Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger“, deren Inhalt von den staatlichen Vertretern genehmigt werden muss. Dieser Prozess ist so konzipiert, dass unbequeme Wahrheiten aus dem politisch sensiblen Zusammenfassungsdokument herausgestrichen werden können. Im Bericht 2014 zeigten die weggelassenen Grafiken, dass seit Mitte der 70er Jahre die CO2-Emissionen außerhalb der OECD-Länder sprunghaft angestiegen sind, da das verarbeitende Gewerbe nach Süden abgewandert ist. Diese Daten liefen dem Narrativ der G77 zuwider, dass die Bekämpfung des Klimawandels in erster Linie ein Problem der Ersten Welt sei. Sie widersprachen auch der Sichtweise, dass Konsumzurückhaltung in der reichen Welt ausreichen würde, um den Zusammenbruch des Klimas zu verhindern.

Dieses Problem für die gängige Rhetorik ergibt sich aus dem starken – und für Klimaaktivisten unangenehmen – Zusammenhang zwischen Kohlenstoffemissionen und menschlicher Entwicklung. In der Vergangenheit begannen die Kohlenstoffemissionen zunächst an Orten zu steigen, an denen es am einfachsten war, fossile Brennstoffe in großem Maßstab zu industrialisieren und zu nutzen: Europa und dann Nordamerika. Als dann auch in Ländern wie China und Indien, deren historische Emissionen vernachlässigbar waren, die Industrialisierung stattfand, stiegen ihre Emissionen rapide an, und zwar auf 29 bzw. 7 Prozent der weltweiten Emissionen. Die Folge ist, dass rund zwei Drittel aller Emissionen heute außerhalb der OECD entstehen. Doch auch noch heute sind die Pro-Kopf-Emissionen (~11 Tonnen CO2-Äquivalent [tCO2e]) der 1,4 Milliarden Menschen in den reichen Ländern (die 36 Mitglieder der OECD) fast doppelt so hoch wie der globale Durchschnitt von rund 6,2 tCO2e pro Jahr und mehr als fünfmal höher als die Pro-Kopf-Emissionen Indiens (etwas mehr als 1,8 tCO2e im Jahr 2017). [v]Da auch Gesellschaften in Ländern mit niedrigem Einkommen nun die Vorteile des Zugangs zu moderner Energie genießen wollen – besser bezahlte Arbeitsplätze, Kühlung, Kochen mit Elektrizität, Waschmaschinen und Computer – dürfte sich dieser geografische Trend in der Herkunft der Emissionen fortsetzen.

In China und Indien haben bereits Hunderte Millionen Menschen ein Emissionsvolumen und einen Lebensstil ähnlich dem von Menschen in der reichen Welt. Der Vergleich der durchschnittlichen nationalen Emissionen, wie sie in den Zusammenfassungen des IPCC-Berichts dargestellt werden, untertreibt das Ausmaß der globalen Ungleichheit, da er sowohl die wachsende Ungleichheit innerhalb einzelner Länder als auch den internationalen Handel ignoriert. Da die verarbeitende Industrie, die Waren für westliche Verbraucher herstellt, sich im globalen Süden ausgebreitet hat, haben sich Regionen, in denen die größte Umweltverschmutzung stattfindet und wo am meisten konsumiert wird, auseinander entwickelt. Angesichts der großen Menge an Emissionen, die wegen des internationalen Handels entstehen und der Unterschiede zwischen Bürgern einzelner Länder in Reichtum, Energieverbrauch und Emissionen bieten Vergleiche der produktionsbedingten Emissionen zwischen einzelnen Ländern einen immer schlechteren Indikator für die tatsächliche Ungleichheit im CO2-Ausstoß.

Trotz dieser Unsicherheiten lässt sich sagen, dass die Ungleichheiten zwischen Ländern nach wie vor groß sind, und dass aufgrund des engen Zusammenhangs von Entwicklung, Wohlstand und Energieverbrauch einerseits sowie CO2-Emissionen andererseits soziale und wirtschaftliche Ungleichheit tendenziell Emissionsunterschiede mit sich bringt. Im Jahr 2015 veröffentlichten Lucas Chancel und Thomas Piketty einen einflussreichen Artikel zur Analyse der Ungleichheit bei den globalen konsumbedingten Treibhausgasemissionen. Sie stellten fest, dass die globale Verteilung der Treibhausgasemissionen zwar nicht ganz so ungleich ist wie die Verteilung der Einkommen, dass aber die Ungleichheiten noch immer extrem sind. Zum Beispiel haben die reichsten Menschen der Welt – die wohlhabendsten Amerikaner, Singapurer und Saudis – einen Lebensstil, der etwa das 2.000-fache der Pro-Kopf-Emissionen der Ärmsten der Welt verursacht (~0,1t CO2e pro Jahr für die Armen in Honduras, Ruanda und Malawi). Weltweit sind die Aktivitäten von 10 Prozent der Emittenten (zu denen der Großteil der Bevölkerung von Ländern wie den Vereinigten Staaten, Australien und Schweden gehören) für 45 Prozent aller Emissionen Verantwortlich.

Diese Statistiken belegen, dass in der Tat eine Elitegruppe „am meisten für den Klimawandel verantwortlich“ ist, aber sie zeigen auch, dass diese Elitegruppe recht groß ist. Die meisten Klimaaktivisten der Ersten Welt, die die Ressentiments der Bevölkerung auf eine winzigen extraktivistischen Elite lenken, sind selbst Mitglieder einer, gemessen an globalen Standards, verschwenderischen Eliteminderheit. Ich selbst bin hierfür ein Beispiel: Ich bin kinderlos, lebe beinahe vegetarisch, wohne in einer kleinen, nicht klimatisierten Wohnung und habe noch nie ein Auto besessen. Aber ich gehöre auch zu den die Umwelt am meisten verschmutzenden 1 Prozent. Warum? Weil ich ein paar Mal im Jahr mit dem Flugzeug reise. Wenn Sie wissen wollen, ob Sie auch Teil des Verschwenderischen 1 Prozent sind, können Sie mit der Überprüfung Ihres Reisepasses beginnen.

Im Vergleich dazu sind die ärmsten 50 Prozent der Menschheit nur für 13 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich. Viele Prognosen deuten darauf hin, dass die heutigen Muster der Ungleichheit von Reichtum und Energiezugang auch in ferner Zukunft anhalten dürften. Wenn diese Vorhersagen stimmen, werden viele einkommensschwache Gesellschaften wenig Bedarf an Politik haben, die für das Absinken von Emissionen sorgt. Ihre Armut wird dafür sorgen, dass ihre Emissionen sowieso gering bleiben. In der Tat war im Untersuchungszeitraum von Chancel und Piketty (1998-2013, „Von Kyoto nach Paris“) die Gruppe der ärmsten 4 Prozent die einzige, deren Emissionen gesunken sind.

Eine Strategie zum Absenken der Emissionen, die auf der Erwartung aufbaut, dass die Hälfte der Menschheit in Armut verharren wird, ist jedoch ungerecht und wird wahrscheinlich scheitern. Viele Klimaaktivisten behaupten, dass es keine Spannung gibt zwischen dem Absenken der Emissionen und der menschlichen Entwicklung. Sie setzen ihre Hoffnungen auf Formen der zukünftigen „Entwicklung“, die nur „geeignete Technologien“ wie Solarenergie und Permakultur-Landwirtschaft nutzen. Aber mit den heute verfügbaren Technologien lässt sich ein Rückgang der Armut allein durch eine Erhöhung der Emissionen erreichen.[vi] Wenn alles gut geht, könnte sich der Zusammenhang zwischen Entwicklung, Reichtum und Emissionen mit der Zeit verringern. Dennoch ist eine enorme Menge an sozialer und technologischer Innovation erforderlich, um ihn ganz aufzubrechen.

Während die Ärmsten weiter zurückbleiben, steigen derweil die Emissionen der aufstrebenden globalen Mittelschicht. Chancel und Piketty veranschaulichen die globale Verteilung der Emissionen, indem sie die Gruppe Menschen identifizieren, deren Emissionen bei etwa 7 tCO2e pro Person und Jahr liegen – etwas über dem globalen Durchschnitt. In dieser Kategorie finden wir „so unterschiedliche Gruppen wie die Top 1% der Verdiener aus Tansania, die obere Mittelschicht (7. Dezile) in der Mongolei und China“ (d.h. ein paar hundert Millionen Chinesen haben höhere Emissionen) „sowie arme Franzosen und Deutsche (jeweils 2. und 3. Einkommensdezile).“ Diese „mittleren 40 Prozent“ der Weltbevölkerung sind für 42 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich, und aufgrund ihres sich verbessernden wirtschaftlichen Erfolgs wachsen ihre Emissionen auch am schnellsten.[vii] Ist diese wirtschaftliche Entwicklung nicht genau das, was wir – und sicherlich auch sie – wollen sollten?

2.

Wenn man die Reichen davon überzeugen könnte, einfacher zu leben, wie Thunberg fordert, würde das der Mehrheit vielleicht Raum geben, mehr zu verbrauchen? Wäre es möglich, sich auf ein Verbrauchsniveau zu einigen, das den Bedürfnissen aller entspricht und gleichzeitig die ökologischen Grenzen berücksichtigt?

Es hängt davon ab, wie hoch man die Latte hängt. Einige quantitativ orientierte Befürworter von kontrolliert negativem Wirtschaftswachstum („Degrowth“) haben kürzlich versucht zu berechnen, wie viel wirtschaftliche Entwicklung mit mit den planetarischen Grenzen vereinbar ist.[viii] Ihre Ergebnisse sind ernüchternd. Derzeit gibt es kein Land, das die Grundbedürfnisse seiner Bürger mit einem Ressourceneinsatz erfüllt, der mit der Vermeidung von gefährlichem Klimawandel vereinbar ist. Und obwohl es für 8 Milliarden Menschen im Prinzip möglich sein dürfte, etwas über der „extremen Armutsgrenze“ leben und gleichzeitig den Klimawandel abzuwenden, stellen diese Forscher fest, dass „mehr qualitative Ziele“ wie „hohe Lebenszufriedenheit, gesundes Leben, höhere Schulbildung, demokratische Qualität, soziale Unterstützung“ nicht überall erreicht werden können, wenn wir nicht radikal effizientere Wege finden, um die Ressourcennutzung in soziale Ergebnisse umzusetzen.[ix]

Bereits 2011 hielt der inzwischen verstorbene schwedische Statistiker Hans Rosling einen TED-Vortrag mit dem Titel „The Magic Washing Machine“, der indirekt einen Anhaltspunkt vorschlug, an dem sich der Materialverbrauch pro Person vielleicht orientieren könnte: den Zugang zu einer elektrischen Waschmaschine. Rosling schlug vor, die Weltbevölkerung in vier Einkommensstufen einzuteilen: „Feuermenschen“ (diejenigen, die keinen Zugang zu Elektrizität haben und auf offenem Feuer kochen), „Glühbirnenmenschen“ (diejenigen mit schwankendem Zugang zu Elektrizität), „Waschmaschinenmenschen“ (diejenigen, die Zugang zu relativ leistungsstarken Geräten wie Waschmaschinen haben) und „Luftfahrtmenschen“ (diejenigen, die es sich leisten können, gelegentlich  zu fliegen). Im Jahr 2017 lebten rund eine Milliarde Menschen auf der Ebene des „Feuers“, in extremer Armut mit weniger als einem Dollar pro Tag. Weitere drei Milliarden hatten Einkommen zwischen 2 und 8 Dollar pro Tag, was sie zum „Glühbirnen“-Status brachte, während zwei Milliarden zwischen 8 und 32 Dollar verdienten – das Einkommensniveau, auf dem der Zugang zu einer Waschmaschine üblich ist. Die reichste Gruppe – die „Luftfahrt“-Klasse – umfasste rund eine Milliarde Menschen, die heute über 32 Dollar pro Tag verdienen.[x] Wie Rosling betonte, verbraucht die reichste Milliarde etwa die Hälfte der gesamten globalen Energie, aber bereits die Waschmaschinenmenschen verbrauchen mehr als den ihnen „zustehenden“ Anteil. Das heißt: Wenn die ganze Welt konvergieren würde zu einem Energieverbrauch, bei dem sich jeder den Zugang zu einer Waschmaschine leisten kann, aber niemand mehr mit dem Flugzeug reist, würde der globale Energiebedarf steigen.

Denken Sie daran, dass die Weltbevölkerung immer noch wächst. Während die meisten Prognosen für dieses Jahrhundert eine Weltbevölkerung von 10 Milliarden erwarten, könnten Verbesserungen in den Bereichen Gleichstellung und Bildung theoretisch die Bevölkerungskurve auf acht Milliarden zurückführen.[xi] Da das gegenwärtige Bevölkerungswachstum jedoch vor allem davon getrieben wird, dass die Menschen länger leben und die durchschnittliche Fruchtbarkeit leicht über der „Ersatzrate“ liegt, müssen wir jedoch davon ausgehen, dass sich das Bevölkerungswachstum, solange es nicht zu einer Katastrophe kommt, weiter fortsetzt. Wenn Sie meine Hoffnung auf eine egalitäre Welt teilen, in der jeder mindestens das Komfortniveau „Waschmaschine“ erreicht, wird der daraus resultierende Energiebedarf für diese Milliarden Menschen enorm sein. Neun Milliarden „Waschmaschinenmenschen“ würden rund eineinhalb Mal so viel Energie verbrauchen wie die Menschheit 2010, auch wenn keiner von ihnen jemals in einem Flugzeug fliegt, eine Klimaanlage benutzt oder ein eigenes Auto besitzt.

Sollten wir uns also den universellen Zugang zur Waschmaschine als Ziel setzen? Könnte dies erreicht werden, indem einerseits der rasche globale Aufbau einer öffentlichen Infrastruktur nach schwedischem Vorbild kombiniert wird mit emissionsfreier Elektrizität und andererseits der Verbrauch in der Ersten Welt radikal reduziert wird? Angesichts der heute noch engen Kopplung von wirtschaftlicher Entwicklung an Emissionen ist der erste Teil dieses Vorschlags zweifellos unvermeidlich. Ich bin jedoch nicht davon überzeugt, dass die Forderung nach individuellen Opfern politisch hilfreich oder zielführend ist. Ich persönlich finde die Idee der globalen Konvergenz in einer energiearmen Zukunft deprimierend. In meiner Vision vom guten Leben kann jeder normale Mensch hoffen, zum Beispiel ein Semester im Ausland zu studieren, die Hadsch zu machen, die Familie während der Goldenen Woche zu besuchen oder einmal bei der Fußballweltmeisterschaft dabei zu sein. Ich vermute auch, dass viele, wenn nicht die meisten, die dann eigentlich solche Opfer bringen müssten, eher weiterhin den unmittelbaren Nutzen von Fliegen und Autofahren dem abstrakten Ziel „Reduzierung von Treibhausgasemissionen durch Abstinenz“ vorziehen würden. Ich bin zufällig auch Tierschutzaktivist, deshalb mag ich Thunbergs Haltung zu Rindfleisch- und Milchkonsum. Aber ich bin mir auch bewusst, dass Fleischkonsum mit der menschlichen Kultur und Identität verwoben ist und dass viele arme Menschen gerne mehr Fleisch essen würden. Ich kann mir kein erträgliches politisches System vorstellen, das den Konsum – von Fleisch, Flugzeugen, Autos oder anderen erheblichen Emissionsquellen – in einem Tempo und in einem Ausmaß einschränken könnte, das der Dringlichkeit der Klimakrise entspricht. Daher sehe ich materielle Zurückhaltung nicht als praktikable Lösung an. Vor allem ist es schwer, das zentrale politische Problem der grünen Sparpolitik zu ignorieren: Bis heute hat niemand herausgefunden, wie man „Degrowth“ mit sozialer Stabilität in Einklang bringen kann.

Auf dem wahrscheinlicheren Weg zur globalen Konvergenz könnten dagegen neun Milliarden Menschen ähnlich leben wie wir in der Ersten Welt. In diesem Szenario würde der globale Energiebedarf auf das Fünffache dessen steigen, was er heute ist. Alternativ könnte bei leicht reduziertem Verbrauch in der reichen Welt und zunehmender Entwicklung überall sonst der globale Verbrauch auf dem Niveau von Schweden konvergieren, einem Land mit hoher Energieeffizienz. In diesem Szenario wäre der globale Primärenergieverbrauch letztlich etwa viermal so hoch wie heute.

Entscheidend ist, dass in beiden Szenarien davon ausgegangen wird, dass die Erwartungen der armen Welt auf Zugang zu Energie erfüllt werden sollen und auch erfüllt werden. Wenn wir diese Annahme machen – und wir müssen es meiner Meinung nach tun, wenn wir an einer gerechteren und ausgeglicheneren Welt interessiert sind – dann müssen wir einen Weg finden, den Zugang zu Energie drastisch zu erweitern, auch wenn wir uns dem Null-Emissionsniveau nähern. Die Entwicklung und der Einsatz einer Reihe neuer CO2-freier Technologien muss daher ins Zentrum unserer politischen Organisation rücken. Und nur der Staat, so würde ich argumentieren, hat die Fähigkeit und das gesellschaftliche Mandat, einen so großen, kapitalintensiven Übergang voranzutreiben.

3.

Die Liste des „Carbon Majors“ Reports mit dern weltweit emissionsintensivsten Unternehmen – Saudi Aramco, Gazprom, National Iranian Oil – stellt nicht gerade Werbung für die gesellschaftlichen Vorteile fossiler Brennstoffe dar.[xii] Die acht größten „Corporate“-Emittenten sind mehrheitlich staatliche Unternehmen aus Saudi-Arabien, Russland, dem Iran, Indien, China und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Liste erinnert an eine alte politikwissenschaftliche Idee, die als „Rentierstaat“-These bekannt ist, die besagt, dass „Rentier“-Reichtum (in diesem Fall aus fossilen Brennstoffen gewonnen) dazu neigt, die Demokratie zu untergraben.[xiii] Warum? Viele argumentieren, dass unverdienter Reichtum dem Staat ein Übergewicht gegenüber der Zivilgesellschaft verschafft, Günstlingswirtschaft finanziert und durch den Wegfall der Steuerlast die Forderung der Bevölkerung nach Demokratisierung untergräbt.[xiv] Die These des „Rentierstaates“ wurde lange vor dem Verständnis des Klimawandels entwickelt, sie veranschaulicht aber noch heute, wie man die Kritik am „Extraktivismus“ auf den Punkt bringen kann. Obwohl fossile Brennstoffe das Wohlergehen der Menschen dramatisch verbessert haben, waren die sozialen Auswirkungen dieses Reichtums nie einfach zu bewältigen. Die Behauptung, dass extraktivistische Eliten sich gegen effektive Reaktionen auf den Klimawandel ausgesprochen haben, ist nur zu wahr. Die historische Bilanz bestätigt, dass manche Institutionen tatsächlich daraufhin gearbeitet haben, das Ansehen der Klimawissenschaft zu untergraben und sich gegen eine wirksame Politik zur Senkung der Emissionen zu wehren.[xv] Darüber hinaus haben sich die frühen Bemühungen der Lobbyisten für fossile Brennstoffe, Zweifel an der Klimawissenschaft zu wecken, zweifellos zu einer breiteren Bewegung der Leugnung des Klimawandels entwickelt.

Doch bei all dem Schaden, der so angerichtet wurde, führt jede Analyse, die sich in erster Linie auf extraktivistische Eliten konzentriert, schließlich doch in eine politische Sackgasse. Ja, Energieunternehmen (wie Fluggesellschaften, Viehzüchter und die meisten anderen Mitwirkenden an der globalen Erwärmung) haben sich für die Verteidigung des Status quo eingesetzt. Und ja, „Blockadia“ kann eine nützliche Rolle beim Brechen ihrer Macht spielen. Aber wir müssen auch erkennen, dass „Extraktivisten“ nur deshalb mächtig sind, weil fossile Brennstoffe die materiellen Bedürfnisse der einfachen Menschen befriedigen. Das grundlegende Merkmal unseres Dilemmas ist, dass der Klimawandel von den gleichen Technologien erzeugt wird, die auch die menschliche Entwicklung ermöglichen. Wenn reiche Menschen wie ich und Naomi Klein unsere Zeit damit verbringen, den Reichtum, die Macht und den Konsum der Überprivilegierten endlos zu kritisieren, dann übersehen wir weiterhin unser eigenes Privileg – ein Privileg, das wir dem Rest der Welt nicht absprechen können oder dürfen. Schlimmer noch, wir werden es weiterhin versäumen, ein politisches Programm der technologischen Innovation zu mobilisieren, das endlich die Emissionen von der menschlichen Entwicklung entkoppeln könnte – sicherlich die einzige gerechte Antwort auf die beiden Herausforderungen der globalen Ungleichheit und des Klimawandels.

Wenn wir einen Zauberstab schwenken und die Emissionen der verschwenderischsten 10 Prozent eliminieren könnten, wäre die Welt als Ganzes immer noch auf dem Weg zur „gefährlichen“ Erwärmung. Wenn wir unseren Zauberstab wieder schwenken und die globale Armut und Ungleichheit bekämpfen könnten – wie wir es müssen -, würden die Emissionen aller Wahrscheinlichkeit nach zunehmen. Nur durch die Transformation des technologischen „Stoffwechsels“ der Weltwirtschaft werden wir den Zusammenhang zwischen Kohlenstoffemissionen und materiellem Wohlergehen jemals erfolgreich durchbrechen können. Wenige Leser der Ökomoderne-Webseite werden von der Behauptung überrascht sein, dass sich eine effektive Klimabewegung nicht nur mit Machtverhältnissen, sondern auch mit den technologischen Grundlagen der wirtschaftlichen Produktion konzentrieren muss. Sie werden auch nicht schockiert sein zu erfahren, dass die Hindernisse, die einem Übergang zu einer auf 100 Prozent erneuerbaren Energien basierenden Wirtschaft im Weg stehen, komplexer sind als eine Verschwörung zwischen einer winzigen Clique republikanischer Geldgeber, saudischer Scheichs und chinesischer Parteifürsten. Leider ist die Behauptung, dass Staaten die Hauptakteure mit der Fähigkeit und Legitimität bleiben, Innovationen von Technologien zur Verringerung des CO2-Ausstoß voranzutreiben, emotional weniger ansprechend als die Behauptungen, dass räuberische Eliten den Planeten für ihre persönlichen Kicks zerstören. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, eine ebenso ansprechende Erzählung zu entwickeln, um breite Unterstützung für die Innovation kohlenstofffreien Technologien zu gewinnen.

Ich habe keine Antwort auf die Frage, wie man Innovation in kohlenstofffreie Technologien spannend machen kann, aber ich wünschte, ich könnte Thunberg vor einer weiteren Gruppe von „mächtigen Menschen“ warnen, die einem effektiven Klimaschutz im Wege stehen. Das sind die Menschen, die uns sagen, dass es falsch ist, technologische Innovationen als einen wichtigen Teil der Klimaveränderung zu betrachten. Diese Menschen sind nicht im Geringsten schurkisch oder raffgierig. Tatsächlich sind sie oft freundlich und gut Willens. Und ihr Glaube „small is beautiful“ – dass traditionell gesund ist, dass lokal ethisch ist und dass individuelle Entscheidungen politisch einflussreich sind – scheint einen Weg in eine sanftere, grünere Welt zu bieten. Leider ist ihre Lösung für eine so komplexe Herausforderung zu einfach. Wenn wir unsere kollektive Klimareaktion um einen solchen Rückzug aus der Moderne herum organisieren, werden wir letztlich genau die Werte – Universalismus und Gleichheit – untergraben, die diese wohlmeinenden Eliten bewahren wollen. Wenn unser Ziel eine universelle menschliche und ökologische Blüte ist, dann müssen wir mutiger und systemorientierter denken. Wir müssen nicht nur die Verteilung von Macht und Reichtum fordern, sondern auch die Neuerfindung der technologischen Grundlagen unserer Gesellschaften.

Thunberg hat bei so vielen Menschen einen guten Eindruck hinterlassen, weil sie erkennt, dass wir alle, die wir „Flugzeug-“ oder „Waschmaschinen“-Menschen sind, Hauptprofiteure des Extraktivismus sind. Ein Teil ihrer Botschaft an die politische Klasse ist, dass wir nicht länger unsere Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und Selbstbewertung unterschätzen sollten. Sie fordert unser politisches Führungspersonal auf, die Möglichkeiten zu nutzen, die sich daraus ergeben, dass wir mit einer unbequemen Wahrheit umgehen können: dass nämlich der Verbrauch fossiler Brennstoffe sowohl die menschliche Entwicklung befördert als auch sie gefährdet. Und dadurch, dass wir bereit sind, uns mit schwierigen Fragen über die Kosten zu befassen, die zur Bewältigung des Klimawandels aufgewendet werden müssen, und wahrheitsgemäß darüber zu sprechen, welche Art von Opfer, individuell und gemeinschaftlich, wir dabei in Kauf nehmen müssen. Wenn sie damit Recht hat – wenn wir tatsächlich bereit sind, uns selbst unbequeme Fragen zu stellen und uns um die Arten von Lösungen zu bemühen, zu denen diese Fragen führen –, dann tun wir gut daran, wenn wir uns ihr anschließen.

Quellen

[i]      Tess Riley, ‘Just 100 companies responsible for 71% of global emissions’ The Guardian, 10 July 2017. https://www.theguardian.com/sustainable-business/2017/jul/10/100-fossil-fuel-companies-investors-responsible-71-global-emissions-cdp-study-climate-change

[ii]    Klein, N. 2015. This Changes Everything: Capitalism vs. The Climate. Simon and Schuster, S. 50

[iii]   Thunberg, G. 2018. ‘The disarming case to act on climate change right now’. Ted Talk.

[iv]    Stern D. 2014. Censored IPCC summary reveals jockeying for key UN climate talks. The Conversation. April https://theconversation.com/censored-ipcc-summary-reveals-jock‌ey‌ing-for-key-un-climate-talks-25813.

[v]     Chancel, L. and Piketty, T. 2015. Carbon and inequality from Kyoto to Paris: Trends in the global inequality of carbon emissions (1998-2013) and prospects for an equitable adaptation fund. Paris school of economics. http://piketty.pse.ens.fr/files/ChancelPiketty2015.pdf, p. 11

[vi]    Lamb, W.F. and Rao, N.D. 2015. Human development in a climate-constrained world: what the past says about the future. Global Environmental Change, 33.

[vii]  Chancel and Piketty 2015, S. 30-32.

[viii] O’Neill, D.W., Fanning, A.L., Lamb, W.F. and Steinberger, J.K. 2018. A good life for all within planetary

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Teile den Beitrag

Andere Beiträge