Ökomodernismus: Umweltschutz und Wohlstand weltweit

Einleitung

Brauchen wir für das 21. Jahrhundert eine neue Umweltbewegung? Die Antwort lautet knapp: Ja.

Denn viele altbekannte Umweltorganisationen und Sozialbewegungen können keine Antworten auf die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte geben. Der Ökomodernismus ist vor einigen Jahren vor allem deshalb entstanden, weil die bisherigen Organisationen und Denkmuster an ihre Grenzen geraten sind.

Wir sahen nach dem Zweiten Weltkrieg durch Fortschritte in der Medizin, der Energieversorgung und der Landwirtschaft enorme Verbesserungen in vielen Lebensbereichen. Heute haben fast acht Milliarden Menschen eine höhere Lebenserwartung, mehr Wohlstand und bessere Lebensbedingungen als je zuvor in der Menschheitsgeschichte. Aber noch immer leben viel zu viele Menschen auf der Welt in Armut. Auch das treibt den Ökomodernismus um.

Die Wohlstandszuwächse blieben jedoch nicht ohne Konsequenzen für die Umwelt und das Klima. Einige Pioniere, wie Rachel Carlson mit ihrem Buch Der Stumme Frühling, machten auf schwerwiegende Belastungen der Umwelt aufmerksam. Viele Regierungen erkannten die Problematik. In der Bundesrepublik Deutschland forderte Willy Brandt: „Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden“. In den Vereinigten Staaten wurde unter Präsident Richard Nixon 1970 das „United States Environmental Protection Agency“ gegründet. Vieles wurde erreicht. Die alten Umweltorganisationen spielten bei diesen Verbesserungen jedoch kaum eine Rolle.

Trotzdem ist vieles – vor allem in Bezug auf den Klimaschutz – zu kurz gekommen. Es fehlt hier nicht am Willen. Die Verantwortlichen kennen das Problem der globalen Erwärmung seit dem US Charney Report 1979 und spätestens seit Ende der 1980er Jahre. Die alten Umweltorganisationen führten dabei aber lieber einen Krieg gegen die emissionsarme Kernenergie oder gegen neue Züchtungstechnologien, obwohl sie großes Potenzial für bessere Lebensbedingungen im globalen Süden haben. Die Klima-Problematik kam bei ihnen viel später an als in der Politik: Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte die globale Erwärmung bereits 1979 als massives Problem erkannt. Nun hat sich im 21. Jahrhundert – vor allem im Umfeld des Breakthrough Institute (1) – ein neuer Ansatz entwickelt, der in Sachen Umwelt und Klima vielversprechender ist, und dabei den weltweiten Wohlstand nicht vernachlässigt. Für diesen Ansatz hat sich der Begriff Ökomodernismus etabliert.

Im Folgenden erläutere ich meine Sicht der Dinge, denn Ökomodernisten sind keine homogene Gruppe. In dieser Diversität sehe ich eine wichtige Ressource zur Ausarbeitung sinnvoller Zukunftsansätze.

Was ist beim Ökomodernismus anders?

1.Wissenschafts- und Evidenzorientierung

Wenn wir unsere vielfältigen Ziele erreichen wollen, müssen wir uns auf Wissenschaft und Evidenz stützen. Auch mit den besten Absichten wird man ein Ziel nicht erreichen, wenn man sich auf Illusionen statt auf Realitäten stützt. Daher sind die alten Umweltorganisationen auch gescheitert, weil sie auf Wunschdenken, Vorurteilen und eine Naturromantik gesetzt haben, die ihren eigenen Zielen im Wege stehen. Ökomodernisten passen sich hingegen den neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft und bewährten sowie neuen technologischen Möglichkeiten an. Sie sehen Innovationen im Einklang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen als den besten Weg, eine lebenswerte Zukunft zu gestalten.

2. Globaler Wohlstand

Ökomodernisten setzen sich deutlich vom Ziel derer ab, die mit weniger Wohlstand, Konsum oder Energieverbrauch die Umweltkrisen meistern wollen. Das Ziel der Ökomoderne ist vielmehr, für alle Menschen, auch wenn es 10 bis 15 Milliarden sein sollen, ein angenehmes Leben mit Wohlstand ohne Verschwendung zu ermöglichen. Menschen im globalen Süden haben einen Anspruch darauf, ohne Bevormundung aus dem reichen Norden ein vergleichbares Leben führen zu können, wie derzeit in Europa, Nordamerika, Japan oder Australien.

Solche Ziele sind nur erreichbar, wenn wir für 2050 bis 2100 mehr Lebensmittel und Energie zur Verfügung haben. Umweltziele wollen wir nicht mit Verzicht bezahlen. Konsumverzicht kann – wenn überhaupt – höchstens für 5% der Reichsten auf der Welt gelten.

3. Rückzug aus statt Einklang mit der Natur

Die Romantisierung der Natur lehnen wir ab. „Mit der Natur“ wurden Menschen jahrtausendelang im Durchschnitt vierzig Jahre alt. Die allermeisten Menschen lebten ein Leben in Armut, ständig bedroht durch Hunger und Krankheit aufgrund von Missernten. Erst durch die Industrialisierung hat sich das geändert. Gleichzeitig hat unsere Spezies die Umwelt überbeansprucht. Am drastischsten sehen wir das in der globalen Erwärmung, die das Erreichte zunichtemachen könnte. Diese Schäden müssen zunächst minimiert und später wieder in den Zustand der Erholung gebracht werden. Wohlstand, Gesundheit und eine vitale Umwelt erreichen wir vorwiegend mit intensiven Technologien. Doppelt so viele Lebensmittel müssen mit weniger Landverbrauch erzeugt werden können. Eine intensive Energieerzeugung ohne großen Landverbrauch hilft, die Natur sich selbst zu überlassen und dabei von Fachleuten aus der Land- und Forstwirtschaft überwacht zu werden.

4. Staatliche und überstaatliche Steuerung und Investition

Die Bewältigung von Umweltkrisen und Erzeugung von Wohlstand werden gemeinsam nicht allein durch einen Verlass auf Marktmechanismen oder basisdemokratische Dezentralisierung erreichbar sein. Während durch Marktmechanismen vieles erreicht worden ist, brauchen große Jahrhundertaufgaben koordiniertes staatliches und überstaatliches Handeln. Selbstverständlich gehörten die Einbeziehung und Information der Bevölkerung dazu, wozu auch Bürgerversammlungen gehören können. Alles muss jedoch wissenschafts- und evidenzbasiert sein, sonst besteht die Gefahr ideologischer Grabenkämpfe. Und letztendlich müssen staatliche und überstaatliche Einrichtungen die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Diese Verantwortung sollte weder an den Markt noch and die Bevölkerung delegiert werden.

Ansatzpunkte

Wir wissen, es gibt kein „free lunch“. Alles, was Menschen – auch andere Spezies – tun, hat Auswirkungen auf die Umwelt. Mit dem Aufstieg der Spezies Homo Sapiens wurden Fortschritte erreicht, die ohne menschlichen Erfindungsgeist nicht möglich wären. Ein Leben im Einklang mit der Natur, aber ohne Innovation und Technologien – wozu auch soziale Technologien gehören – würde keine Milliarde Menschen am Leben erhalten können. Das ginge auch nicht bei einem Lebensstandard wie in der Subsahara. Dieser Aufstieg hat auch die Umwelt verändert, nicht unbedingt nur negativ. Die Nebenwirkungen dieses Aufstieges drohen jedoch, das Erreichte zunichte zu machen, wobei die globale Erwärmung vermutlich das wichtigste Problem darstellt. Sie hat das Potenzial, unsere Lebensbedingungen aus den Fugen geraten zu lassen. Um die Nebenwirkungen zu begrenzen, gibt es vier Ansatzpunkte, die sinngemäß auch aus der sogenannten „Kaya-Identität“ (2) folgen, und die hier kritisch diskutiert werden sollen:

Weniger Menschen?
Mit weniger Menschen brauchen wir auch weniger Ressourcen. Damit wird die Umwelt auch weniger in Anspruch genommen. Dieses Mittel ist auf direktem Wege jedoch nur unter Missachtung von Menschenrechten machbar, weshalb es für Ökomodernisten nicht in Frage kommt.

Weniger Wohlstand?
Wenn Menschen im Durchschnitt weniger Wohlstand haben, werden sie auch weniger Ressourcen verbrauchen und damit die Umwelt weniger schädigen. Ökomodernisten wollen jedoch im Gegenteil den Wohlstand vermehren. Dieses Mittel kommt daher ebenfalls nicht in Frage. Die Erfahrung zeigt uns sogar, dass mehr Wohlstand das Bevölkerungswachstum bremst und somit indirekt dem ersten Ziel ohne Bevormundung und Zwang Vorschub leistet.

Weniger Energieverbrauch für den Wohlstand!
Wenn wir Wohlstand mit weniger Energieverbrauch erreichen würden, wäre das zu begrüßen und es gibt hier durchaus ein großes Potenzial. Mit Energiesparmaßnahmen und effizienterer Landwirtschaft können wir einiges erreichen, auch wenn diese Mittel nicht ausreichen werden.

Weniger Nebenwirkungsintensität des Energieverbrauches!
Ökomodernisten befürworten alle Technologien, die Emissionen senken und möglichst eliminieren. Da jede Form der Energieerzeugung Nebenwirkungen hat, müssen Vor- und Nachteile ohne Scheuklappen verglichen werden, wozu zunächst alle verfügbaren Technologien mit geringen Emissionen zählen. Ökomodernisten befürworten deshalb auch alle Technologien, die eine gesunde Ernährung mit wenig Energie- und Landverbrauch ermöglichen. Dabei geht es um hochwertige Lebensmittel, ohne Dämonisierung oder Lobpreisung der Herstellungsverfahren. Der Tierschutz spielt dabei eine gesonderte Rolle und bedarf einer separaten Erörterung.

Gegenwärtige Positionen

Ökomodernisten stehen für:

  • einen Mix von allen Energiesystemen mit sehr niedrigen Emissionen, wozu u.a. Kernenergie, CCS, Wasserkraft, Wind- und Solarenergie gehören; nicht dazu gehören alle fossilen Energieträger inklusive Gas, auch nicht als „Backup“ für fluktuierende Energiequellen. Die Nutzung von Bioenergie befürworten Ökomodernisten nur, wenn diese in einem Kreislaufsystem stehen und nicht in Kollision mit der Lebensmittelerzeugung geraten. Wegen des geringeren Landverbrauchs bei vergleichbaren Umweltrisiken und der verlässlicheren und resilienteren (3) Stromversorgung priorisieren viele Ökomodernisten Kernenergie und CCS gegenüber Wind und Solar.
  • Die Nutzung von geeigneten Technologien für eine Lebensmittelerzeugung mit wenig Wasser- und Landverbrauch. Dazu gehören auch gentechnische Verfahren, um den Ertrag zu erhöhen, den Pestizideinsatz zu vermindern und Wasser- und Landverbrauch zu reduzieren. Einen maßvollen Einsatz von Düngemittel befürworten sie. Ebenso wie sinnvolle, unideologische Konzepte aus dem Biolandbau, wie Fruchtfolge und einen vernünftigen Tierschutz. In der Bezeichnung von Mitteln als „natürlich“ gegenüber „chemisch“ sehen Ökomodernisten keine sinnvolle Differenzierung, sondern reine Marketingmaßnahmen, um Wettbewerber zu verdrängen.
  • viele Ökomodernisten setzen u.a. auf vegetarische Lebensmittel mit einem Fleisch vergleichbaren Geschmack („Impossible Burger“), so es einen Zugang zu Fleischersatzprodukten gibt. Auch sind nicht alle Ökomodernisten Vegetarier. Sie befürworten vielmehr Technologien, die die Lebensbedingungen von Nutztieren verbessern.
  • Ökomodernisten sehen auch einen Vorteil darin, wenn einige Länder verstärkt auf Kernenergie und andere eher auf Wind und Solar setzen. Diese Diversität ist gut. Sie lehnen es jedoch ab, wenn Regierungen andere Länder bevormunden. Deshalb wenden sich Ökomodernisten dezidiert gegen die Bestrebungen von Deutschland und Österreich, ihre Nachbarn zu einem Verzicht auf die Kernenergie zu nötigen. Eine Nötigung ist auch dann nicht akzeptabel, wenn Kernkraftwerke an der Grenze zu Deutschland und Österreich gebaut oder auf weiterbetrieben werden.
  • Damit die Weltbevölkerung in einem Rahmen bleibt, der den negativen Fußabdruck der Spezies Homo Sapiens begrenzt, setzen Ökomodernisten im Wesentlichen auf diese Maßnahmen: Mehr Wohlstand (zumindest Energie, Wasser, Lebensmittel und vernünftige Behausung mit Zugang u.a. zu Licht, Waschmaschinen und Kühlschränken), Bildung für alle Kinder, insbesondere auch für Mädchen und Frauen, und den kostenfreien und einfachen Zugang zu Verhütungsmitteln.

 

Diese Positionen sind den Prinzipien und der Priorisierung der Ansatzpunkte untergeordnet. Mit der fortschreitenden Kenntnislage der Wissenschaft und neuen Evidenzen können sich die Positionen ändern.

Die Zukunft

Es werden ständig Weichen für die Zukunft gestellt. In der Vergangenheit haben Menschen mit guter Absicht versucht, Gutes für die Umwelt und Gesundheit zu tun. Leider haben sie oftmals entweder nichts oder das Gegenteil erreicht. Womöglich haben Umweltverbände mit ihrer jahrzehntelangen Blockadehaltung gegenüber der Kernenergie der Sache des Klimas mehr geschadet als die Leugner des anthropogenen Klimawandels. Ähnliches gilt auch für die Blockadehaltung in Sachen Gentechnik und der Bevormundung des globalen Südens mit Regelwerken, wie das Cartagena Protokoll, das die Entwicklung ärmerer Länder des globalen Südens behindert und ihrem Wohlergehen im Wege steht. (4,5)

Jetzt, wo eine neue, junge Generation von Umweltbewegten die drängendsten Probleme erkannt hat, gilt es, sie vor der Vereinnahmung durch die gescheiterten und in ihrem Denken fossilisierten, altökologischen Organisationen zu warnen. Viele gute Ansätze sind da, aber die altökologischen Organisationen tun alles, um die neue Generation mit den alten Rezepten „auf Linie“ zu bringen.

Wir ermuntern die neue wissenschaftsorientierten Generation, vielerorts auch innerhalb grüner Organisationen und Parteien, einerseits konsistent wissenschafts- und evidenzorientiert zu handeln sowie andererseits den Wohlstand des globalen Südens nicht aus dem Auge zu verlieren. Dabei wäre es sehr zu begrüßen, wenn sie den jungen Stimmen des globalen Südens nicht nur von der dortigen städtischen Elite viel mehr Gewicht verleihen würden.

Beim Handeln der Regierungen und internationalen Organisationen müssen wieder Innovationen und Erfindungsgeist viel stärker und ohne Scheuklappen gefördert werden, um unsere Lebensbedingungen stets zu verbessern.

Eine gute Zukunft – ein gutes Anthropozän – ist möglich, aber die Hürden vor allem im Denken bleiben immens.

Quellen:

1 https://en.wikipedia.org/wiki/Breakthrough_Institute
2 Kaya, Yoichi; Yokoburi, Keiichi (1997). Environment, energy, and economy: strategies for sustainability. Tokyo (u.a.): United Nations Univ. Press. ISBN 9280809113.
3 U.a. können massive Vulkanausbrüche neben extremen Wetterbedingungen vor allem die Sonnenenergie über
Monate oder Jahre lahmlegen. Wir können nicht a priori annehmen, dass so etwas nicht geschieht, denn die Erdgeschichte zeugt von solchen Ausnahmesituationen.
4 Willy de Greef: The Cartagena Protokoll and the Future of Agbiotech
http://wwwdata.forestry.oregonstate.edu/orb/pdf/DeGreef,%202005.pdf
5 PAS Studienwoche, Vatikan Stadt, 15-19 Mai 2009: Transgene Pflanzen für die Ernährungssicherung im Kontext der internationalen Entwicklung. http://www.ask-force.org/web/Vatican-PAS-Statement-FPT-PDF/PAS-Statement-German-FPT.pdf

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