Kommentar zum Abschluss des Untersuchungsausschusses Atomausstieg von Niels-Arne Münch

Der Autor beobachtete für uns das Finale des Untersuchungsausschusses zum Atomausstieg mit den Auftritten der Spitzenpolitiker der Ampel am 15./16. Januar 2025. Hier schildert er seine Eindrücke. Außerdem ist er Projektleiter unserer aktuellen Studie zu einer alternativen Energiewende mit Kernkraft, mit der wir einen besseren, kostengünstigeren und schnelleren Weg in eine klimaneutrale Energieversorgung aufzeigen. 

Unten tagte der Untersuchungsausschuss zu den Umständen des Atomausstiegs 2022, doch oben auf der Tribüne fühlte sich der Zuschauer wie in einer endlosen Theateraufführung. Titel des Stücks: “Der Energiewendestaat”. Über acht Stunden dauerte die Befragung von Wirtschaftsminister Habeck. Ihm “gehörte die Bühne”, wenn man so will, und ab und zu redete er sich regelrecht in Rage: Er würde lieber die Aktenlage zu 2014 in einem Untersuchungsausschuss erörtern, fuhr er die Ausschussmitglieder einmal an: „Warum wurde [nach der Besetzung der Krim] die Abhängigkeit von russischem Gas immer weiter ausgebaut? Dieser Fehler steht hinter der aktuellen Wirtschaftskrise!“* 

Der Einwurf ist interessant und hat mehrere Ebenen: Im Moment vor dem Ausschuss wollte Habeck vor allem vom eigenen Handeln im Jahr 2022 ablenken, das aber nun mal der Raison d’être des Ausschusses war. Zugleich hat Habeck einerseits recht: Er stand 2022 vor einem Riesenproblem infolge von Entscheidungen, die spätestens 2014 angesichts von Russlands Aggression gegen die Ukraine und die Besetzung der Krim von der damaligen Großen Koalition ganz anders hätten getroffen werden müssen. Andererseits ignoriert der Verweis auf 2014 jene Entwicklung, die überhaupt erst in das Dilemma jenes Jahres führte, und die aufs engste mit Habecks grüner Partei verbunden ist. 

Habeck hingegen tut so, als hätten die Entscheidungen von 2014 nichts mit den Grünen zu tun, schließlich war man seinerzeit nicht an der Regierung beteiligt. Tatsächlich hatten die Grünen immer wieder gegen die wachsende Abhängigkeit von russischem Gas und den Ausbau von Nord Stream 2 gewettert – aber aus der sicheren Opposition heraus ist das einfach: Man braucht keine Alternativen anzubieten. In Wahrheit war die steigende Abhängigkeit von fossilem Gas von Anfang an die Kehrseite des Ausbaus der Erneuerbaren Energien. Deren schwankende Produktion muss ausgeglichen werden, und wenn weder Kernkraft noch Kohle dies leisten dürfen, bleibt nur Gas: Fossiles Gas sollte als Brücke zu Gas aus Erneuerbaren Energien führen, so lautet das Konzept, aber der Grüne Wasserstoff ist noch heute Zukunftsmusik und war es erst recht Anfang der 2000er, als dieser Pfad eingeschlagen wurde. Gas aus Russland war die billigste Lösung, und so begannen Bundeskanzler „Gas-Gerd“ Schröder und Trittin mit dem Ausbau des Pipelinenetzes nach Russland, während daheim der Atomausstieg beschlossen wurde. Am 11. April 2005 unterzeichneten Schröder und Putin zum Beispiel die Vereinbarung zum Bau von Nord Stream 1. Energiepolitik rot-grün. 

In der Opposition machten sich die Grünen dann aber einen „schlanken Fuß“, überließen der dauerregierungsbeteiligten SPD die Drecksarbeit und profilierten sich einfach gegen jedes Gasprojekt: Frackinggas aus den USA war ihnen genauso wenig recht wie das Erschließen unserer eigenen, heimischen Gasfelder. Und natürlich sollte es nun auch kein Putingas mehr sein, obwohl 2005 beim Vertragsabschluss zum Bau von Nord Stream 1 die Minister für Auswärtiges und Umwelt noch Fischer und Trittin hießen. Was die Frage aufwirft, wie denn dann die heißgeliebten Erneuerbaren ergänzt werden sollten? Darauf gab es keine Antwort. 

Bis heute ist die grüne Haltung zu Gas zutiefst verlogen: Vor der Wählerschaft und in der Opposition wird gegen alles Fossile geschimpft, aber als man 2021 an die Regierung kam, schrieb sich die Ampel 40 neue Gaskraftwerke in den Koalitionsvertrag. 2023 sollten es für Habeck dann schon 50 sein. Und weil man nach dem russischen Überfall auf die Ukraine verzweifelt nach Lieferanten suchte, wurde man sogar in Afrika vorstellig – obwohl man die Finanzierung solcher „fossilen Projekte“ für den Eigenbedarf der Afrikaner wenige Monate zuvor auf der Klimakonferenz in Glasgow mit großem Gestus ausgeschlossen und sich dafür hatte feiern lassen – trotz Protesten betroffener Staaten. Selbst die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung geißelt: „Wer sich … einer offenen Debatte zum Thema Gasnutzung in Afrika verschließt und gleichzeitig afrikanisches Gas importiert, um den eigenen Wohlstand nicht zu gefährden, darf sich nicht wundern, dem Vorwurf der Doppelmoral ausgesetzt zu sein“.  

Quelle: Clean Energy Wire

Sehr illustrativ für die Kontinuität grüner Energiepolitik ist schließlich ein weiteres pikantes Detail: In den fraglichen Jahren 2014-15, von denen Robert Habeck sprach und zu denen er einen Untersuchungsausschuss forderte, gestaltete trotz schwarz-roter Regierung unter Wirtschaftsminister Gabriel tatsächlich ein Grüner die Energiepolitik, nämlich Energie-Staatssekretär und Agora-Gründungsdirektor Rainer Baake: Er kannte sich aus und man kannte sich, denn Staatsekretär war Baake bereits von 1998 bis 2005 unter Trittin gewesen.  

Ein Untersuchungsausschuss, der die Vorgänge 2014 oder noch besser den Atomausstieg insgesamt unter die Lupe nimmt, wäre zweifellos von großem öffentlichem Interesse – aber sicher nicht im Sinne der Grünen. Dass genau so ein Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg bis heute fehlt, nutzte Habeck wiederum zu seiner Verteidigung: Gegenstand der Prüfung durch den bestehenden Ausschuss war allein der Zeitraum ab dem 24. Februar 2022, also dem Datum des russischen Überfalls auf die Ukraine, und die Frage, inwieweit die von Habeck versprochene „ergebnisoffene Prüfung“ einer mögliche Laufzeitverlängerung  „angesichts der fundamental veränderten Lage“ tatsächlich stattgefunden hatte. Habeck, so betonte er mehrfach, ging es dabei allein um die Frage, inwieweit ein befristeter Weiterbetrieb der Kernkraftwerke bei einer drohenden Gasmangellage im bevorstehenden Winter 22/23 helfen könnte: „Eine Korrektur des beschlossenen Atomausstiegs stand nie zur Debatte“, so Habeck ausdrücklich und verbunden mit dem Vorwurf, der Ausschuss würde seinen Auftrag für eine grundsätzliche Atomdebatte „missbrauchen“. 

Tatsächlich sollte man die politische Debatte um die Kernkraft vom viel engeren Auftrag des Ausschusses unterscheiden. Eigentlich ist eine Korrektur des Atomausstiegs längst überfällig: zu offensichtlich sind die bereits vor dem Krieg sehr hohen Energiekosten, zu offensichtlich sind die mit einem Energiemix ausschließlich aus Gas und Erneuerbaren einhergehenden geopolitischen Abhängigkeiten (nicht nur vom Russland, sondern auch von China), zu offensichtlich sind die innereuropäischen Konflikte, zu offensichtlich sind schließlich die immensen noch vor uns liegenden Kosten, Konflikte um knappe Flächen und resultierenden Verzögerungen beim Aufbau der notwendigen Infrastruktur. 

Angesichts von immer mehr Ländern, die in ihrer Energieversorgung auf einen pragmatischen Mix aus allen kohlenstoffarmen Technologien setzen, erweist sich der deutsche Sonderweg immer mehr als Geisterfahrt, die – wie bei Geisterfahrten üblich – alle anderen Verkehrsteilnehmer gefährdet: Höhere Stromkosten bei unseren Nachbarn und entsprechende Wut auf Deutschland sind da noch die harmlosesten Folgen. Viel schlimmer ist das aktive Blockieren von Finanzierungsmöglichkeiten für Kernkraft (und eben auch von Brückentechnologien wie Fossilgas in Afrika) in internationalen Gremien: Anstatt Emissionen zu mindern und zugleich Wohlstand zu schaffen, verlängert die deutsche Politik so Emissionen und Armut – und treibt viele Entwicklungsländer mutwillig in die Arme von China und Russland. 

Für die Anti-Atom-Dogmatiker bei den Grünen und wohl auch in der SPD bedeuteten gerade diese Umstände allerdings „Alarmstufe Rot“: Dass eine echte Laufzeitverlängerung in der Folge dann zu einer grundsätzlichen Kurskorrektur und Rückkehr zur Kernkraft führen könnte, war angesichts der offensichtlichen Unzulänglichkeiten der „Energiewende“ und des allgemeinen Stimmungsumschwungs in Deutschland durchaus denkbar. Die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise schuf 2022 so ein „Goldenes Fenster“ für einen grundsätzlichen Kurswechsel, das die Ampelregierung jedoch aus einer Mischung aus Antinuklearismus, Feigheit und womöglich auch alter Russlandnostalgie verstreichen ließ. Übrig blieb eine Mini-Laufzeitverlängerung über den Winter und ein Untersuchungsausschuss mit sehr begrenztem Auftrag. 

Dass beim Erstellen des berüchtigten Prüfvermerks und der folgenden Eilentscheidung geschummelt und gelogen wurde, bis sich die Balken nicht nur bogen sondern splitterten, ist inzwischen durch die gerichtlich angeordnete Offenlegung der Akten und die Recherchen des Cicero hinreichend belegt und wurde auch vor dem Untersuchungsausschuss immer wieder deutlich: Von der fehlenden „periodischen Sicherheitsüberprüfung“ (PSÜ), die nachzuholen angeblich monatelangen Stillstand der Kraftwerke erzwungen hätte, bis zum Streckbetrieb, der angeblich keinen zusätzlichen Strom erzeugte: Alle Falschbehauptungen aus dem Ministerium kamen an dieser oder jener Stelle wieder hoch: Insbesondere letzteres steht so ausdrücklich im sogenannten Prüfvermerk (3. März 2022) und wurde von Habeck noch am 22. Juni 2022 in einer Videobotschaft verbreitet – dass dies falsch war, wusste jeder in der Materie engagierte Bürger allerdings spätestens am 15. März, als die Kerntechnische Gesellschaft (KernD) ihren fachlichen Kommentar zum Prüfvermerk publizierte. Vor dem Untersuchungsausschuss hatte dies unter anderem Uwe Stoll, ehemaliger wissenschaftlich-technischer Geschäftsführer der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und Mitglied der Reaktor-Sicherheitskommission in seiner Zeugenvernehmung am 7. November 2024 ausgeführt. Dem zuständigen Minister erreichten solche „neuen Erkenntnisse“ laut eigener Aussage irgendwann im Sommer, mal ist von Juni die Rede, mal von August. 

Ähnlich ging es mit der Frage, wie lange es dauern würde, neue Brennstäbe zu bekommen: Auf die erste Antwort der Betreiber – 18-24 Monate – räusperten sich umgehend Produzenten wie Westinghouse, Orano oder Framatom und erklärten, in dieser Notlage könne man, eine schnelle Entscheidung vorausgesetzt, auch innerhalb eines Jahres liefern. Das Angebot von Philippe Knoche, CEO von Orano, er sei bereit Tag und Nacht zu arbeiten, um ihnen [den Deutschen] zu helfen“, stammt vom 28. Februar 2022 und ist auf X noch immer online, ebenso das Angebot von Westinghouse. Im Ministerium wurde dies ignoriert, man hielt sich an die Betreiber – diese hätten das Angebot der Hersteller übermitteln müssen, denn solches zu prüfen sei nicht Aufgabe des Ministeriums. Tags zuvor hatte Umweltministerin Lemke zur gleichen Frage gar von einem „Gerücht von Framatom“ gesprochen. Beide Minister, so drängt sich der Eindruck auf, weigerten sich, das zur Klärung wichtiger Sachfragen notwendige Wissen zu beschaffen, obwohl genau dies ihre Pflicht gewesen wäre. 

Das Klima schließlich kam im Ausschuss nur ganz am Rande an wenigen Stellen zur Sprache: Habeck machte sehr deutlich, dass es ihm in seiner Entscheidung allein um die Versorgungsicherheit ging und verkündete mit einigem Stolz, die zusätzlichen Emissionen hätte er als verantwortlicher Minister in Kauf genommen: so weit so gut, inmitten einer schweren Energiekrise. Deutlich wurde aber auch: Die zusätzliche Auslastung der dreckigen, CO-intensiven Kohlekraftwerke stellte politisch kein größeres Problem dar, eine mögliche Verlängerung der sauberen Kernkraftwerke hingegen schon. Allein dies verrät viel über die wahren Prioritäten der angeblichen Klimapartei und verspielte immens Glaubwürdigkeit. 

Vieles deutet darauf hin, dass Habeck selbst zu einer echten Laufzeitverlängerung bereit gewesen wäre, sich aber innerparteilich nicht den Konflikt mit der grauhaarigen Garde der alten Anti-Atom-Kämpen um Jürgen Trittin traute. Da ist von Telefonaten in den entscheidenden Stunden mit „jemanden aus der Fraktion“ die Rede (gemeint war Trittin), auf dessen Intervention hin der Prüfvermerk geändert worden sei. Trittin selbst brüstete sich in der TAZ, er und andere Fraktionsmitglieder hätten sich „sehr beharrlich und störrisch“ gegen “Überlegungen aus dem Wirtschaftsministerium” gestellt, eine Laufzeitverlängerung zu machen. Wer im Einzelnen wann und mit wem sprach, um was es dabei im Detail ging und welche Folgen diese Gespräche hatten, konnte im Einzelnen auch der Ausschuss nicht restlos klären. 

Aber das, was zutage gefördert wurde an Unwissenheit um technische Zusammenhänge, an Gleichgültigkeit gegenüber wirtschaftlichen und ökologischen Folgen, und offenbar an Feigheit vor den Parteifreunden (die bekanntlich Feinden nicht ganz unähnlich sind), reicht völlig aus, um sich mit Grausen abzuwenden. Man möchte abermals Habeck seine eigenen Worte aus dem Ausschuss vorhalten: „Mit dem Wissen unserer Gegenwart fasst man sich an den Kopf und fragt sich: Was ist denn da los?“ Leider meinte er abermals nicht sein eigenes Handeln und den Atomausstieg, sondern nur das Beharren auf Nord Stream 2. Schade eigentlich.  

*Alle Zitate aus der Erinnerung.

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