“Nicht von den Lautesten treiben lassen”: Wege zu differenzierten Online-Debatten

Mikrofon vor Publikum

Ein Gespräch mit Sinan („Sinans Woche“) auf der Skepkon 2025 über Narrative, Aufmerksamkeitsökonomie und die Kraft differenzierter Argumente.

Hallo Sinan, danke, dass du dir Zeit genommen hast, mit uns über aktuelle Online-Debatten zu sprechen. Wie nimmst du die mediale Berichterstattung über Umwelttechnologien wie Kernenergie oder Gentechnik wahr?

Das ist eine gute Frage. Also, ich nehme vor allem wahr, dass darüber gestritten wird. 

Eine klare, einseitige Positionierung sehe ich da gar nicht so stark. Es gibt […] sehr polarisierende Positionen, aber eine einheitliche mediale Richtung erkenne ich nicht.

Welche Rolle spielen Narrative und Schlagwörter in der öffentlichen Debatte über solche Technologien? 

Gerade auch bei der Kernenergie hat das einfach historische Gründe. Katastrophen wie Fukushima oder Tschernobyl hinterlassen eine Kerbe und das ist natürlich dann stark beeinflusst. Auch bei Gentechnik würde ich sagen: Tendenz wahrscheinlich eher negativ.

Und klar, das kann man natürlich alles mit Schlagwörtern dann auch noch mal stärker beeinflussen. Das wird kein gutes Verkaufsargument sein, wenn du etwas mit Gentechnik draufstehen hast. Stattdessen ist es ja eher andersrum: “Ohne Gentechnik” ist für viele ein Kaufgrund.

Wie geht man damit um, wenn die Studienlage ein viel positiveres Bild von einer Technologie zeigt als die verbreiteten Annahmen? 

Da wären wir für mich beim Thema Aufklärung. Am Ende können wir nur nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden, und das ist für mich immer die wissenschaftliche Erkenntnis. Wenn man zum Beispiel sagt, wir haben hier eine genmanipulierte Pflanze, aber wissenschaftlich hat sich gezeigt, die ist sehr robust, die hat viele Vorteile, dann braucht es Leute, die das aussprechen. Und ich bin immer ein Fan davon, das ruhig und sachlich zu machen. Meine Strategie ist immer, nicht auf die lautesten Stimmen zu achten. Medial passiert es ziemlich oft: Eine kleine Minderheit hat eine sehr laute Stimme, und wir fokussieren uns dann darauf, als wäre das die Mehrheitsmeinung. Das ist häufig nicht der Fall – sie ist einfach nur sehr laut.

Ich versuche das selber als Content Creator so zu machen, dass ich nicht immer auf die lauteste, auf die dümmste, auf die polarisierendste, polemischste Meinung achte. Vielleicht nehme ich so etwas als Einstieg, dann aber hangele ich mich an der Frage entlang: Was sind die echten Argumente? 

Du konsumierst Medien, die Themen differenziert aufgreifen, und konzentrierst dich auf Stimmen, die nicht an den Extrempolen liegen. Was müsste sich deiner Meinung nach ändern, damit in der Breite mehr faktenbasierte Diskussion möglich wird?

Wir arbeiten ständig gegen die Aufmerksamkeitsökonomie. Ich mache ja auch YouTube-Formate und bin täglich vor diesem Dilemma: Auf der einen Seite muss es kurz mal knallen; vorneweg eine steile These, ein knalliges Thumbnail, eine Überschrift, die emotional catcht. Man muss die Leute emotional erst in die Diskussion einbringen. Meine Traumantwort wäre, dass wir einfach differenziert und faktenbasiert da sitzen, aber dann ist das so detailreich und so korrekt, […] dass keiner mehr einschaltet. Das ist leider so.

Also jeder hätte eine “Fakten-API” und da wird Wissen eingespeist und alles wird gut? 

Aber so funktioniert der Mensch leider nicht. Ich sehe, wir arbeiten da gegen etwas an. Das mediale System ist so, dass Aufmerksamkeit und Reichweite bezahlt werden. Rein monetär gibt es also überhaupt keinen Anreiz, […] differenziert zu betrachten – ich habe ein Interesse daran, möglichst stark zu polarisieren. Das ist ein Problem. Auch für mich als Content Creator. Ich muss mit Unterstützern arbeiten, also Zuschauern, die mich unterstützen […]: Auf großer medialer Ebene ist das kaum möglich.

Für mich ist deshalb die Hybridlösung der einzige Weg, der funktionieren kann. Das heißt: Wir arbeiten auch mit einer provokanten These, mit einem knalligen Einstieg. Aber dann […] bringen wir die Leute dahin, dass wir sagen: Jetzt gehen wir mal in die differenzierte Analyse. Klar schalten da manche wieder ab. Aber so kriegen wir sie langsam dahin zurückgezogen.

Wie siehst du hierbei die Rolle von Online-Kanälen und Creators, auch aus deiner eigenen Erfahrung heraus?

Ich habe zum Glück tolle Kolleginnen und Kollegen – zum Beispiel Biased Skeptic, Varnan und natürlich auch Alicia Joe, die sehr viel Reichweite haben und auch versuchen, immer genau so vorzugehen.

Ich fokussiere mich hier bewusst auf die Positivbeispiele, weil es […] nicht weiterbringt, ständig nur auf Polarisierung und große Schreihälse zu schauen. Wir müssen uns stattdessen auf diejenigen konzentrieren, die es gut machen: uns mit denen vernetzen, die aus unserer Sicht anständig arbeiten. Ich glaube, genau darin liegt die Zukunft. […] Man darf nicht vergessen: Es gibt auch viele gute Kanäle, die dagegenarbeiten, indem sie einfach guten Content liefern. Und genau da sollte man weitermachen, denke ich.

Hättest du zum Schluss noch einen Tipp, wie man solche Kanäle findet, auf denen eine empfehlenswerte Debatte geführt wird? Und was wäre der Beitrag der skeptischen Community dazu?

Ich würde zuerst mal bei der GWUP vorbeischauen; viele Skepkon-Referenten sind dort aktiv und gehen denselben differenzierten Weg. Danach immer gegenchecken: Befriedigt mich das Video nur – meinen Wunsch nach Krawall, nach „Endlich sagt’s mal einer“ – oder fordert es mich wirklich heraus?

Eine differenzierte Meinung reibt, weil sie Für und Wider enthält. Sie ist nicht die einzig wahre Antwort, sondern sie wägt ab, zeigt Vorteile und vielleicht auch Nachteile oder einen Preis dafür. Das löst etwas in einem aus. Das bringt uns in diesen Schwebezustand der Ungewissheit, den wir alle nicht so gerne haben. 

Ich würde gerne eigentlich genau wissen, was ist denn jetzt – ist Gentechnik gut oder schlecht? Aber vielleicht lässt sich das gar nicht so einfach beantworten. Man kann das trainieren. Wenn man merkt: Oh, das ist wieder dieser Schwebezustand, der ist eigentlich unangenehm, aber der Sinan hat gesagt, das ist etwas Gutes, dann bleibe ich mal hier. Das wäre mein Tipp. 

Lieber Sinan, vielen Dank für das Gespräch.

 

 

Links

Das Gespräch wurde im Rahmen der SkepKon 2025 in Regensburg geführt – der zentralen Konferenz der skeptischen Bewegung im deutschsprachigen Raum. Veranstalter ist die GWUP – Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften.

Mehr über die SkepKon und die Arbeit der GWUP: www.gwup.org · www.skepkon.org

Sinan Kurtulus („Sinans Woche“) analysiert gesellschaftliche Debatten auf YouTube – kritisch, meinungsstark und pointiert. Mit über 100.000 Abonnenten gehört er zu den profilierten Stimmen im Bereich Medienkritik und skeptischer Aufklärung.

Sinans Youtube-Kanal: www.youtube.com/c/SinansWoche 

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