Auf der Suche nach einem neuen Kristallisationspunkt, der die nachlassende Mobilisierung und Medienpräsenz umkehren könnte, schießen Teile der Klimabewegung und vor allem Fridays for Future sich immer stärker auf die geplanten Gasbohrungen vor Borkum ein. Am Wochenende sollen sie im Mittelpunkt der Klimademos stehen. Dabei legt der Protest besonders deutlich die Doppelmoral der Aktivisten offen – und ihre Konzeptlosigkeit.
Am kommenden Samstag (20.9.2025) ist wieder Klimademo. Unter dem Motto #ExitGasEnterFuture mobilisieren Fridays for Future und fordern den “sofortigen Stopp aller neuen Erdgasprojekte”[1]: Gemeint sind Projekte im bayerischen Reichling (wo Greenpeace nicht weniger als einen Völkerrechtsbruch wittert [2]) und besonders vor der Nordseeinsel Borkum. In Letzterem scheint die Bewegung ihren neuen Kristallisationspunkt auszumachen. Ein kurzer Abriss der bisherigen Ereignisse: Nachdem das zuständige niedersächsische Landesamt (LBEG) die von der niederländischen Firma One-DYAS beantragten Gasbohrungen genehmigt hatte, hatte die Insel bereits im vergangenen Jahr ihre bis dato größte Demo mit rund 2.000 Teilnehmern erlebt.[3] Schon damals vorne mit dabei: Fridays for Future mit ihrer Galionsfigur Louisa Neubauer, die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die die Bohrungen mit einer Klage gegen ein Seekabel verzögerten, und Greenpeace, die ein “Protestcamp zur See” organisiert hatten. Anfang September erteilte das LBEG nun One-DYAS trotz der noch anhängigen Klage der DUH die Genehmigung zum Sofortvollzug der Bohrerlaubnis, und entsprechend rollte die zweite Protestwelle über die Insel, inklusive mehrtägigen Protestcamp und einer Kundgebung, zu der sich hunderte Aktivisten versammelten. Nun stehen die Gasbohrungen also im Mittelpunkt bundesweiten Klimademos am Samstag.
Die Argumentation der Klima-Gerechtigkeitsbewegung ist schlicht: “Wir brauchen das Gas gar nicht.” Schon im vergangenen Jahr verkündete der damalige grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck, das Projekt sei „nicht nötig“.[4] Fast gleichlautend erklärte Louisa Neubauer von den Fridays, wir würden das Gas unter der Nordsee „ja überhaupt nicht brauchen“.[5] Im „Spiegel“ durfte Susanne Götze sekundieren, das Projekt sei schlecht für das Klima und – Überraschung – „energiepolitisch überflüssig“[6]. Und vor wenigen Tagen ergänzte Claudia Kemfert in einem Interview zu den aktuellen Protesten: „Es gibt Gas auf den internationalen Märkten zu kaufen.“ (ab 3:23). [7]
Konzeptlose Klimabewegung
Das Narrativ vom Gas, das wir angeblich nicht brauchen, während wir zugleich in großem Umfang neue Gaskraftwerke bauen – etwas, das die aktuelle Ministerin Katherina Reiche genauso vorantreibt wie vor ihr Robert Habeck – verrät die Konzeptlosigkeit der Klimagerechtigkeitsbewegung. Zweifellos: Wirklich angewiesen auf das Gas aus genau diesen Quellen sind wir nicht. Richtig, Gas kann man auch auf den internationalen Märkten kaufen. Dann wird es anderswo gefördert, besser wird dadurch leider nichts. Im Gegenteil, alles andere wird dadurch nur schlimmer.
Erstens schadet der Import von verflüssigtem Frackinggas dem Klima deutlich mehr als Gas aus eigener Förderung: Der Methanschlupf – also die Menge an Methan, die durch Lecks in die Atmosphäre entweicht – ist größer, hinzu kommen Energieverluste und Transportemissionen. Solange wir Erdgas brauchen, ist das Projekt bei Borkum also keineswegs „schlecht fürs Klima“. Das große Fernziel einer Energieversorgung gänzlich ohne fossiles Gas liegt noch Jahrzehnte in der Zukunft. Mit Kernenergie wäre es schneller und billiger gewesen, aber unsere Kernkraftwerke mussten ja unbedingt abgeschaltet werden. Nun muss auch die Kohle weg, da bleibt nicht viel übrig, was die Schwankungen der Erneuerbaren ausgleichen und eine stabile Versorgung sichern kann: Unter den Bedingungen der deutschen Energiewende ist Gas alternativlos. Und das bedeutet mindestens bis 2045, vermutlich aber noch wesentlich länger fossiles Gas. Schlupf wird sogar ein erhebliches Klimaproblem bleiben, wenn wir eines Tages den Umstieg auf erneuerbare Gase geschafft haben sollten: Einmal in der Atmosphäre ist es nämlich egal, wo Methan oder Wasserstoff herkommen – und, ja, auch Wasserstoff ist klimaaktiv, trägt zur Erwärmung bei.[8]
Wie gesagt: Die Alternative zu unserer gasabhängigen Energiewende wäre Kernenergie gewesen, und langfristig ist sie es immer noch, sofern sich für den überfälligen Wiedereinstieg endlich eine breite gesellschaftliche Mehrheit findet. Doch selbst dann gilt: Die maximal 25 Jahre, die in Borkum gefördert werden soll – genehmigt wurden erstmal nur 18 Jahre –, brauchen wir so oder so noch Fossilgas. Im bayerischen Reichling geht es sogar nur um zehn bis 15 Jahre Förderung. [2,3] Es gibt keine Welt, in der Deutschland in dieser Zeitspanne unabhängig von fossilem Gas wird. Die Chance dazu wurde mit dem Atomausstieg vertan.
Deutschlands und Europas Gier nach Gas schafft Armut – und treibt Länder zurück zur Kohle
Zweitens und noch viel wichtiger: Die deutsche Gier nach Gas schafft anderswo auf der Welt Armut und schadet der globalen Energiewende weg von fossilen Brennstoffen. Es ist entlarvend, mit welcher Gleichgültigkeit eine KlimaGERECHTIGKEITSbewegung, die sonst so gerne mit Buzzworten wie „Postkolonialismus“ und „Rassismuskritik“ um sich wirft, sich über die Sorgen ärmerer Länder und Menschen des globalen Südens hinwegsetzt, sobald deren Interessen nicht mehr zur eigenen Agenda passen. “Es gibt genug Gas zu kaufen”, stimmt nur, weil wir reich sind und preissensiblere Kunden aus dem Markt drängen können. Besonders deutlich wurde dies während der Energiekrise 2022: Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine kauften Europa und besonders wir Deutschen überall auf der Welt Gas zu astronomischen Preisen ein, während Länder mit geringerer Kaufkraft wie Pakistan, Indien, Bangladesch, Indonesien und afrikanische Staaten trotz bestehender Lieferverträge kein Gas mehr erhielten: Der Preisunterschied war so gewaltig, dass die Lieferanten trotz der fälligen Konventionalstrafen lieber an uns reiche Europäer verkauften. Die Folgen waren „rotierende Blackouts“, also Energie-Rationierung und eine Neuausrichtung der Energiepolitik: Viele betroffene Länder kehrten zur Kohle zurück (auch in Europa stieg bekanntlich der Kohleverbrauch). Pakistan zum Beispiel gab bestehende Pläne für neue Gaskraftwerke auf und will stattdessen nun die Kapazität seiner Kohlekraftwerke vervierfachen.[9]
Bereits Ende 2022 kommentierte Bloombergs Energie-Experte Stephen Stapczynski: “Much deeper costs [als Europa] will be borne by the world’s poorest countries, which have been shut out of the natural gas market by Europe’s suddenly ravenous demand. It’s left emerging market countries unable to meet today’s needs or tomorrow’s, and the most likely consequences — factory shutdowns, more frequent and longer-lasting power shortages, the foment of social unrest — could stretch into the next decade.” [10]
Grüne Doppelmoral
Man sollte versuchen, die Welt durch die Augen dieser Länder zu betrachten: Auf der Klimakonferenz in Glasgow Ende 2021 lagen sich die Regierungen reicher westlicher Länder, darunter Deutschland, in den Armen und gratulierten einander für die sogenannte “Glasgower Erklärung” – das Versprechen, die internationale Finanzierung fossiler Projekte zu beenden. National war man nicht ganz so streng, wenige Wochen zuvor hatte sich die frisch gewählte Ampel den Bau neuer Gaskraftwerke in den Koalitionsvertrag geschrieben: Aber das war eben national. Auch für die Aufnahme von Gas in die „EU-Taxonomie für nachhaltige Entwicklungsprojekte“ wurde parallel fleißig lobbyiert, aber auch da ging es ja um die eigene Versorgung. Bereits im Vorfeld der Klimakonferenz hatten mehrere afrikanische Staatschefs (Senegal, Nigeria, Uganda, Malawi) [11] gewarnt, man dürfe Afrikas Zukunft nicht den Klimazielen opfern: Der Kontinent brauche eine ausbalancierten Energiemix, auf den schwankenden Erneuerbaren ließe sich (in Ermangelung eines Backups) nun mal keine Industrie und mithin kein Wohlstand aufbauen. Als notwendige Ergänzung zu den Erneuerbaren nannten die Präsidenten: Erdgas und Kernkraft.
Kurz nach dem Gipfel äußerte Macky Sall, Senegals Präsident und der neue Präsident der Afrikanischen Union (AU), die gleiche Kritik: Die Unterzeichner der Glasgower-Erklärung sollten erstmal vor der Haustür kehren und ihre Kohlekraftwerke abschalten, bevor sie Afrika die Finanzierung der Gasförderung verweigerten. “Das Blockieren von Finanzmitteln für den Gassektor würde zu der Klimaungerechtigkeit, unter der Afrika bereits mehr als jeder andere Kontinent leidet, noch ein großes wirtschaftliches Unrecht hinzufügen.“ [13] Gehör fanden diese Einwände nicht, aber als wenige Monate später Russland die Ukraine überfiel und die Energiekrise begann, kauften wir Europäer erst den internationalen Gasmarkt leer, bis in den Schwellenländern buchstäblich die Lichter ausgingen, anschließend wurden wir in diesen Staaten dann vorstellig, um nun doch den Aufbau von Gasprojekten zu finanzieren – freilich für den Gas-Export nach Europa: Was für den Wohlstand der Menschen im globalen Süden nicht sein durfte, ist uns für den eigenen Wohlstand billig. Eine neokolonialistischere Einstellung ist kaum denkbar. Insbesondere Deutschland klopfte im Senegal ausgerechnet bei Macky Sall an, dessen Kritik an der Glasgower Erklärung wenige Monate zuvor noch ignoriert worden war.
Selbst die den Grünen nahestehende Heinrich-Böll-Stiftung, nicht gerade des Fossil-Lobbyismus verdächtig, kritisierte: „Wer sich in Europa einer offenen Debatte zum Thema Gasnutzung in Afrika verschließt und gleichzeitig afrikanisches Gas importiert, um den eigenen Wohlstand nicht zu gefährden, darf sich nicht wundern, dem Vorwurf der Doppelmoral ausgesetzt zu sein.“ [14]
Dreimal soviel Strom für 0,6 Prozent mehr Emissionen
Inzwischen sind die Gaspreise wieder gesunken, doch die grundsätzlichen Zusammenhänge bleiben unverändert. Das ganze Drama des Klimaaktivismus dieser Tage illustriert sehr schön der schon zitierte Text von Susanne Götze im Spiegel: Dort heißt es, mitnichten würde „in den USA weniger Frackinggas gefördert, weil es nun ein Gasfeld vor Borkum gibt“.[6] Kurzsichtiger geht es kaum: Zwar dürften die Fördermengen kurzfristig kaum sinken, Erdgas würde aber billiger, was mittel- und langfristig sehr wohl die Investitionsentscheidungen der großen Konzerne und damit Produktionsmengen beeinflusst. Der niedrigere Preis wiederum hilft Ländern im globalen Süden: Entweder, es wird dort weniger Kohle verbrannt, dann sinken die Emissionen gleich zweimal, einmal bei uns, weil wir saubereres Gas verbrennen, einmal in ärmeren Ländern, weil dort Kohle durch Gas ersetzt wird. Oder mit dem Gas wird zusätzlicher Strom generiert. Dann gäbe es tatsächlich etwas mehr Emissionen, aber auch weniger Blackouts, mehr Wohlstand und eine bessere Zukunft für die Menschen dort. Vielleicht gäbe es sogar weniger Flüchtlinge, man stelle sich vor. Würde ganz Sub-Sahara-Afrika ohne Südafrika seinen Stromverbrauch allein auf Basis von Gas verdreifachen, würden die globalen Emissionen um ganze 0,6 Prozent steigen.[16] Voraussetzung wäre, erstens, dass die zugehörige Infrastruktur gebaut wird – am besten nicht mit chinesischer oder russischer, sondern mit europäischer Hilfe. Zweitens dürfte das Gas anschließend nicht zum Nutzen reicher Europäer mit viel Aufwand und Emissionen in den globalen Norden geschafft werden, sondern müsste vor allem der Versorgung der Menschen dienen, die dort leben, wo es gefördert wird. Womit wir wieder bei unserem eigenen Gasbedarf wären und bei Borkum.
Wir von WePlanet treten für eine konsequent globale Perspektive ein: Für uns lässt sich der Kampf gegen den Klimawandel nicht vom Kampf gegen Armut trennen. Unter dem Motto “Just Stop Cooking” [15] rufen wir deshalb die Weltbank auf, den Bann für die Finanzierung von Flüssiggas-Projekten (LPG) in Afrika aufzuheben. Ein etwas anderer Brennstoff, das gleiche Problem: Man kann nicht erwarten, dass Afrikaner für die Lösung eines Problems, zu dem sie kaum etwas beigetragen haben, auf Zukunft und Wohlstand verzichten. Es ist völlig inakzeptabel, dass große Industrienationen wie Deutschland die Finanzierung von Gasprojekten in Schwellenländern zum Wohl der Menschen dort blockieren, während sie selbst täglich Gas nutzen.
Man muss es so deutlich formulieren: Gegen eine Verbesserung der Gasversorgung in Afrika sein, kann eigentlich nur, wer sehr weit oben im Elfenbeinturm sitzt und dem die Armut anderer egal ist. Wer sagt, wir würden das Gas vor Borkum „nicht brauchen“, kann oder will nicht über den eigenen nationalen Tellerrand hinausschauen. Tatsächlich fehlen wird das Gas auf dem Weltmarkt und damit denen, die sich höhere Preise nicht leisten können: Minderkonsum wird stattfinden, aber nicht bei uns, sondern bei den Ärmsten. Dass auch wir ein Nicht-Erschließen unserer Gasvorkommen letztlich mit Wohlstandsverlust bezahlen würden – etwa durch nicht geschaffene Arbeitsplätze – interessiert im Elfenbeinturm genauso wenig.
Abschließend: Die Antwort auf Frage, ob wir eigene Gasfelder „überhaupt brauchen“ hängt auch davon ab, welche strategische Bedeutung man Energiesouveränität beimisst. Auch dieser Aspekt ist für die Aktivisten auf Borkum offensichtlich ziemlich egal. Damit zeigen sie allerdings, dass sie die entscheidende Lehre aus unserer Abhängigkeit vom russischen Gas und dem Desaster der Energiekrise nicht gelernt haben: Wir dürfen uns mit Blick auf unsere grundlegende Energieversorgung nicht erpressbar sein. Donald Trump, irgendein Europa nicht freundlich gesinnter US-Präsident in der Zukunft, ein größerer Krieg im Nahen Osten, der Länder wie Katar vom Weltmarkt abschneidet, oder eine Konstellation, an die wir jetzt noch nicht denken: In einer unsicheren Welt hat eine eigenständige Energieversorgung ihren eigenen Wert. Im Streit um das Lieferkettengesetz hat Katar bereits gedroht, den Export von Flüssigerdgas (LNG) in die EU einzustellen.[17] Was soll schon schiefgehen, wenn wir uns auf Jahrzehnte von diesen Ländern abhängig machen?
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Quellen:
[1] https://fridaysforfuture.de/klimastreik/
[4] https://www.tagesschau.de/inland/gasbohrung-borkum-habeck-100.html
[8] https://weplanet-dach.org/anmerkungen-zur-nationalen-wasserstoffstrategie/
[11] https://x.com/Marwyn72/status/1542168248405430273
[14] https://www.boell.de/de/2022/06/22/die-suche-europas-nach-gasressourcen-afrika
[15] https://www.juststopcooking.org/de
[16] https://mo.ibrahim.foundation/sites/default/files/2022-05/2022-Ibrahim-Forum_Facts-Figures.pdf