Neues zu Kernenergie in der Energiewende

Eine neue Studie der Clean Air Task Force (CATF) unterstreicht die Rolle der Kernenergie bei der Dekarbonisierung Deutschlands und bestätigt unsere eigenen Ergebnisse. Hier stellen wir euch kurz das Wichtigste vor. 

 

Als wir Anfang des Jahres unsere Studie zur „Rolle der Kernenergie in der deutschen Energiewende“ [1] vorstellten, handelte es sich um die erste tatsächlich technologieoffene deutsche Studie zur zukĂĽnftigen Energieversorgung: Den politischen Vorgaben gemäß schlossen alle vorigen Studien Kernenergie (und meist auch CCS) von vornherein aus. Wir hingegen lieĂźen – wie in anderen Ländern längst ĂĽblich – ergebnisoffen untersuchen, wie eine tatsächlich kostenoptimale Energiewende aussehen könnte, wenn man alle verfĂĽgbaren Technologien zulässt. 

Aus Hintergrundgesprächen wussten wir schon damals, dass da noch etwas Anderes in Arbeit war: Die Modellierer des von uns beauftragten Thinktanks Quantified Carbon arbeiteten noch für einen weiteren Auftraggeber mit dem gleichen Ziel. Es bewegt sich was! 

Anfang Juli nun – die meisten waren wohl gerade auf dem Weg in die Sommerpause – veröffentlichte die Clean Air Task Force (CATF) endlich ihre umfangreiche Studie „Power System Expansion Germany“ [2] und dazu einen Bericht mit Aktionsplan From Ambition to Realisation: A Vision for Germany’s Decarbonisation. [3] Wohl der Sommerpause geschuldet gingen Studie und Kampagne leider ein wenig unter – etwas verspätet daher hier unsere Besprechung. 

Zunächst der wichtigste Unterschied: Die CATF ist eine in den USA ansässige bereits sehr etablierte Klima- und Umwelt NGO. Entsprechend hatte sie für ihre Studie deutlich mehr Geld zur Verfügung, und das zahlt sich aus: Die Studie ist umfangreicher als unsere eigene, das heißt, sie berücksichtigt noch mehr Technologien, vor allem Gas in Kombination mit Kohlenstoffabspaltung und Speicherung (Gas+CCS), und modelliert mehr unterschiedliche Pfade, etwa zu den angenommenen Lernkurven und Kosten der eingesetzten Technologien. Alles Details, die für uns aufgrund begrenzter Finanzmittel nicht möglich waren. Entsprechend kann das neue Papier viel genauer austesten, wie robust die Ergebnisse gegenüber veränderten Annahmen sind.

Robuste Kernenergie
Wir waren natürlich äußerst gespannt, wie sich all dies vor allem auf den optimalen Kernkraftanteil auswirkt: Würde die Hinzunahme weiterer Technologien die Menge der Kernkraftwerke im kostenoptimalen Mix senken? Die in dieser Deutlichkeit auch für uns überraschende Antwort lautet: Nein! Die Modellierung zeigt: Wird Kernenergie zugelassen, wird Kernenergie auch gebaut – und zwar in der maximal zugelassenen Menge: Im Hauptszenario ist Kernenergie wegen der Ausbaugeschwindigkeit auf maximal 30 GW im Jahr 2050 begrenzt, in einem Subszenario wird die zulässige Ausbaugeschwindigkeit freigegen: Das Modell baut nun 100 GW Kernenergie, und dies obwohl andere Technologien – Gas+CCS, EGS – zugelassen wurden. 

 

Kohlenstoffarme Technologiemixe im Jahr 2050 in 3 Szenarien: ”No Nuclear No CCS” (die aktuelle deutsche Energiewende), das Referenzszenario ”All Tech” (technologieoffen, gemäß historischen Erfahrungen begrenzte Ausbaugeschwindigkeit) und ”No Limits” (technologieoffen, unbegrenzte Ausbaugeschwindigkeit)
Montage aus [2], S. 62,67

Das Referenzszenario ”All Tech” bedeutet Gesamtersparnisse von 30 Prozent (aufsummierte Gesamtkosten 2025-2050) gegenĂĽber dem 100-Prozent-Erneuerbare-Szenario ”No Nuclear No CCS”. Nimmt man sogar unbegrenzte Ausbaugeschwindigkeit an, ermöglicht der Mix im ”No Limits” Szenario noch einmal zusätzlich 20 Prozent geringere Gesamtkosten im Vergleich zu ”All Tech”. (S. 68) – ”Nach Adam Riese” wĂĽrden die Kosten der Dekarbonisierung um satte 44 Prozent sinken, wenn wir Kernenergie in beliebiger Geschwindigkeit ausbauen könnten! Der Unterschied beim Strompreis ist sogar noch drastischer: rund 100 € kostet die Megawattstunde im Durchschnitt ohne Kernkraft und CCS und liegt damit 70 Prozent höher als im Referenzszenario! 

Die niedrigsten („Lowest“) aufsummierten Total System Costs im All Tech-Szenario betragen 1,7 Billionen Euro, im No Nuclear/No CCS-Szenario 2,2 Billionen Euro. (ebd., S.98)  
 

Nicht immer, dies sei kritisch angemerkt, sind zusätzliche Technologien auch plausibel: Um unter ”No Nuclear, No CCS”-Bedingungen die vorgegebenen Emissionsminderungen zu erreichen, setzt das Modell zusätzlich zu den vorgesehenen 70 GW Offshore bis zu 34 GW Floating Offshore Wind ein (ebd., S.63), also Windkraft mit schwimmenden Plattformen, die für Regionen mit größeren Meerestiefen entwickelt werden. Nur ergibt das in der Deutschen Bucht keinen Sinn: Werden die geplanten 70 GW Offshore tatsächlich gebaut, sind die deutschen verfügbaren Flächen komplett mit im Grund fixierten Plattformen zugestellt, die Windparks nehmen sich schon jetzt gegenseitig den Wind. Wo sollte da Platz für weitere 34 GW sein (Karte) und weshalb sollen es bei den Meerestiefen in der deutschen Bucht schwimmende Plattformen sein? Das Detail zeigt wohl vor allem, dass das Modell hier an die Grenze seines Lösungsraums kommt, und zu schwimmenden Plattformen greift, um den “Cap” von 70 GW für fixierte Offshore zu umgehen. Die eigentliche Lehre dürfte sein, dass die Energiewende ohne thermische Kraftwerke auch physikalisch an ihre Grenzen kommt. 

 

Report und Aktionsplan 
Die Studie begleitet der umfangreiche Report und Aktionsplan From Ambition to Realisation: A Vision for Germany’s Decarbonisation, der sich weitere Zukunftsoptionen wie Fusionsenergie und Tiefe Geothermie (Enhanced geothermal Systems, EGS, Super Hot Rock) anschaut sowie die Reduktion von Methanemissionen und den Einsatz von CCS in der Industrie. Insgesamt geht der Report über die Probleme der Energieversorgung hinaus und widmet sich wie der Titel nahelegt Deutschlands Dekarbonisierung. Vieles davon ist ausgesprochen spannend, allerdings empfiehlt der Aktionsplan seltsamerweise, den Ausbau von Solarenergie sowie Onshore und Offshore Wind zu beschleunigen (Action 6), während die Studie ausdrücklich empfiehlt, Offshore Wind “auf die kostengünstigsten Standorte zu beschränken” (Empfehlung Nr. 9, S. 12). Dennoch: “Technologieoffen” heißt “zukunftsoffen”, und dies wiederum bedeutet, über die sofort verfügbaren Lösungen hinaus weitere Optionen voranzutreiben: Pilotanlagen fördern, geeignete gesetzliche Rahmenbedingungen für Investoren und Entwickler schaffen, über den Bereich Energie hinausdenken und die gesamte Wirtschaft in den Blick nehmen, und bei all dem insgesamt einen pragmatischen und deshalb robusten Transformationspfad folgen: Dem können wir uns nur anschließen. 

  

Die wichtigsten Empfehlungen an die Politik: 

👉 Zu einer technologieoffenen Energiewende übergehen! 
Wir brauchen einen regulatorischen Rahmen, der alle sauberen Technologien fördert – dies betrifft insbesondere die Einbeziehung der Kernenergie. 

👉 Die noch existierenden Kernkraftwerke retten und umgehen wieder anfahren! 

👉Den Bau neuer Kernkraftwerke vorbereiten und sich für 2050 ein Ausbauziel von mindestens 30 GW setzen! 

👉 Auf sauberen Wasserstoff setzen, nicht notwendigerweise auf grünen. 

👉 CCS in der Industrie und in Kombination mit Gas vorantreiben. 

👉 CO2 nicht nur exportieren, sondern auch die deutschen Speichermöglichkeiten erschließen. 

👉 Systematische Ziele zur Methanminderung setzen, Emissionen erfassen. 

👉 Methanemissionen aus der Viehhaltung reduzieren. 

 

AbschlieĂźend: Wir hoffen sehr, dass Erkenntnisse wie aus der neuen CATF-Studie „Power System Expansion Germany“ und unserer eigenen Studie in das laufende Monitoring der Energiewende einflieĂźen. Die Ergebnisse werden fĂĽr September erwartet: Wir warten gespannt, welche Vorschläge die neue Bundesregierung machen wird, und mit welchen Konzepten sie in der Energie- und Klimapolitik endlich wieder das Nötige wieder mit dem Machbaren versöhnen will. Bis dahin:

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Quellen:


[1] Die Rolle der Kernenergie bei der Dekarbonisierung
https://weplanet-dach.org/die-rolle-der-kernkraft-bei-der-dekarbonisierung-deutschlands/, Studie WePlanet-DACH 2025

[2] Power System Expansion Germany
https://cdn.catf.us/wp-content/uploads/2025/05/19101843/qc-germany-report.pdf, Studie Clean Air Task Force, 2025

[3] From Ambition to Realisation: A Vision for Germany’s Decarbonisation
https://www.catf.us/resource/from-ambition-to-realisation-a-vision-for-germanys-decarbonisation/ Report Clean Air Task Force, 2025

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