„Growing Smarter“: Ein fairer Weg für Landwirtschaft und Forschung in Europa

Patente, Züchterrechte und Gerechtigkeit in der landwirtschaftlichen Innovation in Europa

von Martin Reich, 16. Juni 2025

 

Der Kontext 

Die Europäische Union steht vor einer grundlegenden Reform mit tiefgreifenden Folgen für die Zukunft von Lebensmitteln, Wissenschaft und Souveränität. Am 6. Mai 2025 begannen die Trilog-Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, dem Rat und der Kommission über den Entwurf einer „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über mit bestimmten neuen genomischen Techniken gewonnene Pflanzen und die aus ihnen gewonnenen Lebens- und Futtermittel”, so der offizielle Titel. Es geht darum, welche Vorschriften in Zukunft für Pflanzen gelten sollen, die mithilfe Neuer Genomischer Techniken (NGT) entwickelt wurden. Das Ergebnis kann darüber entscheiden, ob Europa in der Pflanzenzüchtung eine weltweit führende Rolle übernimmt, und diese neuen Methoden für eine nachhaltige und zukunftssichere Landwirtschaft nutzt oder sich in ein Regulierungslabyrinth zurückzieht, das Innovationen ausbremst und veraltete Rahmenbedingungen für Landwirtschaft und Innovation verfestigt. Die Weichen, die heute gestellt werden, entscheiden darüber, ob Landwirte, Forscher und kleine Saatgutentwickler in den kommenden Jahrzehnten erfolgreich arbeiten können.  Nicht nur Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa und die Klimaziele stehen auf dem Spiel, sondern auch Fairness und Ernährungssicherheit. 

 

Worum geht es bei den Trilog-Verhandlungen? 

Die zur Debatte stehende Verordnung zielt darauf ab, den 30 Jahre alten EU-Rechtsrahmen für genetisch veränderte Organismen (GVO) zu aktualisieren. Der Vorschlag der Kommission würde es ermöglichen, eine neue Klasse von gentechnisch veränderten Pflanzen, die durch gezielte Mutagenese ohne Einfügung fremder DNA hergestellt werden, ähnlich wie konventionell gezüchtete Pflanzen zu regulieren, sofern sie bestimmte Kriterien erfüllen. 

Die Wissenschaft ist eindeutig: Zahlreiche unabhängige wissenschaftliche Beratungsgremien sind sich einig, dass die Risiken von NGTs mit denen der herkömmlichen Züchtung oder Mutagenese vergleichbar oder sogar geringer sind. Letztere sind in Europa seit langem ohne GVO-Beschränkungen zugelassen. Tatsächlich ist die Genomeditierung weitaus präziser als ältere Mutageneseverfahren, bei denen das Saatgut mit Strahlung oder Chemikalien behandelt wird, um zufällige Veränderungen hervorzurufen. 

Doch die politischen Fragen, die mit der Novellierung der Gesetzgebung einhergehen, sind alles andere als einfach. Wie erwartet drehen sich die heftigsten Konflikte des Trilogs nicht um die Wissenschaft hinter der Technologie, sondern um Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und geistiges Eigentum. 

 

Warum geistiges Eigentum wichtig ist 

Im Mittelpunkt der Kontroverse steht das schwierige Gleichgewicht zwischen dem Schutz von Innovationen und einem fairen Zugang zu ihnen. Pflanzenzüchtung ist ein langsamer und kostspieliger Prozess. Es kann mehr als ein Jahrzehnt dauern und mehrere Millionen Euro kosten, bis eine neue Sorte entwickelt ist, die beispielsweise besser gegen Krankheiten gewappnet ist, weniger Pflanzenschutzmittel benötigt oder unter wechselnden klimatischen Bedingungen gedeiht und gleichzeitig den Anforderungen von Verbrauchern gerecht wird. Um Anreize für solche Arbeiten zu schaffen, muss geistiges Eigentum für eine bestimmte Zeit geschützt werden können. Doch die genaue Ausgestaltung des Schutzes wird immer häufiger infrage gestellt, insbesondere wenn es um Patente geht. 

In Europa können Züchter ihre neuen Pflanzensorten durch Sortenschutz schützen lassen, der ihnen für eine bestimmte Anzahl von Jahren das ausschließliche Recht zum Verkauf von Vermehrungsmaterial (wie Saatgut oder Stecklinge) gewährt. Wichtig ist, dass der Sortenschutz eine „Züchterausnahme“ beinhaltet. Andere Züchter dürfen geschützte Sorten frei verwenden, um neue Sorten zu entwickeln. Dieser Rechtsrahmen hat lange Zeit ein blühendes Ökosystem der schrittweisen, dezentralen Innovation gefördert. 

Patente funktionieren jedoch etwas anders. Anstatt eine gesamte Sorte zu schützen, können sie spezifische Merkmale schützen, beispielsweise eine bestimmte DNA-Sequenz, die erhöhte Trockentoleranz oder eine Pilzresistenz verleiht. Patentlizenzen fehlt oft die Ausnahmeregelung für die Weiterzucht, weshalb ein Züchter, der eine patentierte Eigenschaft nutzt, eine Lizenz benötigt. Diese Lizenz wird jedoch nicht immer erteilt. Die Folge sind Ängste vor Monopolbildung, insbesondere vor einer Situation, in der große, multinationale Konzerne die Schlüsselpatente halten.

Obwohl beide Systeme rechtsgültig sind und unterschiedliche Funktionen erfüllen, führt ihre Koexistenz angesichts der NGT, welche die Isolierung, Gestaltung und Patentierung spezifischer Merkmale erleichtern, zu Spannungen. 

 

Das Patentproblem und warum ein pauschales Verbot nicht funktionieren wird 

Kritiker von Saatgutpatenten schlagen oft eine einfache Lösung vor: ein Verbot von solchen Patenten. Doch ein solcher Schritt wäre zwar für manche eine befriedigende Lösung, rechtlich und wirtschaftlich aber nicht haltbar. Als WTO-Mitglieder sind die EU-Staaten an das TRIPS-Abkommen gebunden, das einen Schutz für biotechnologische Erfindungen vorschreibt. Die EU-Biotechnologie-Richtlinie (98/44/EG) erlaubt ausdrücklich die Patentierung von biologischem Material, das aus seiner natürlichen Umgebung isoliert wurde, sofern es die Kriterien der Neuheit, Erfindungshöhe und industriellen Anwendbarkeit erfüllt. 

Ein pauschales Verbot würde also nicht nur gegen internationale Verpflichtungen verstoßen, sondern könnte sich auch wirtschaftlich nachteilig auswirken. Europäische Forschungseinrichtungen, Start-ups und KMU sind auf geistiges Eigentum angewiesen, um Kapital zu beschaffen, Innovationen zu lizenzieren und im globalen Wettbewerb zu bestehen. Die Abschaffung von Patentanreizen könnte Innovation ausbremsen, insbesondere solche, die wir als Gesellschaft dringend benötigen, um unsere Landwirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Noch schlimmer wäre es, wenn Innovationen und die mit ihnen verbundene Expertise ins außereuropäische Ausland abwandern würden. 

Dennoch sind die Bedenken real. Wenn die neue NGT-Verordnung zu einer explosionsartigen Zunahme patentgeschützter Merkmale führt und gleichzeitig kein System existiert, das einen möglichst breiten Zugang garantiert, könnten kleinere Züchter abgehängt werden. 

 

Wie sähe ein gerechtes System aus? 

Glücklicherweise gibt es einen besseren Weg. Anstatt sich zwischen Patentverboten und schrankenlosem Wettbewerb zu entscheiden, kann Europa einen Mittelweg einschlagen: ein transparentes und zugängliches Lizenzierungssystem, das Innovationsanreize bewahrt und gleichzeitig einen gleichberechtigten Zugang ermöglicht. 

Eine solche Entwicklung ist bereits im Gange. Mehrere Brancheninitiativen arbeiten daran, Patente für kleinere Züchter übersichtlicher und nutzbarer zu machen. 

  • ILP Vegetable und ACLP (Agricultural Crop Licensing Platform) bieten kollektive Lizenzierungsmechanismen an, die Nutzern den Zugang zu Patentbündeln zu fairen und standardisierten Bedingungen ermöglichen. 
  • PINTO (Patent Information and Transparency Online), gegründet von Euroseeds, bietet eine durchsuchbare Datenbank mit patentierten Merkmalen.

Diese Initiativen spiegeln Modelle aus anderen Branchen wider, beispielsweise aus der Musik- oder Softwarebranche. Dort sorgen Mechanismen kollektiver Rechteverwaltung seit langem für ein Gleichgewicht zwischen Urhebern und Nutzern. Werden sie ausgeweitet und angemessen reguliert, können sie sicherstellen, dass genom-editierte Merkmale allen qualifizierten Züchtern – ob öffentlich oder privat, groß oder klein – zur Verfügung stehen. 

 

Der polnische Vorschlag und das Risiko eines politischen Rückschlags 

Ein Vorschlag, der während des Trilogs geäußert wurde, ist, den regulatorischen Status von NGT-Pflanzen an ihren Patentstatus zu binden: Im Januar 2025 schlug die polnische EU-Ratspräsidentschaft vor, dass nur nicht patentierte NGT-Pflanzen das gestraffte Zulassungsverfahren durchlaufen könnten; Pflanzen mit patentierten Merkmalen würden wie herkömmliche GVO behandelt werden. 

Dies mag für einige Interessengruppen verlockend klingen, ist jedoch ein Rezept für rechtliches Chaos und regulatorische Unsicherheit. Der Patentstatus einer Pflanze kann aufgrund laufender Anträge oder rechtlicher Anfechtungen über Jahre hinweg unklar sein. Die Verknüpfung des Marktzugangs mit Patentunterlagen würde genau jenes System lähmen, das mit der Verordnung vereinfacht werden soll. Noch schlimmer wäre das Signal, dass Europa seinem eigenen Rechtsrahmen für geistiges Eigentum misstraut. 

Stattdessen sollten wir die behördliche Genehmigung, die sich auf Sicherheit und Umweltauswirkungen bezieht, von Überlegungen zum geistigen Eigentum abkoppeln, welche die wirtschaftlichen Chancen und Risiken betreffen. Das Ziel sollte Klarheit sein, nicht zusätzliche Unklarheit. 

 

Der Standpunkt von WePlanet: Für Wissenschaftlichkeit und fairen Zugang 

Wir sind überzeugt, dass NGT ein wichtiges Instrument im Kampf für eine nachhaltigere, klimaresistente und gleichzeitig produktive Landwirtschaft sind. Europa muss diese Chance ergreifen – mit durchdachten Sicherheitsvorkehrungen und Strukturen, die öffentliches Vertrauen und Fairness gewährleisten.  

Das bedeutet: 

  • Wissenschaftlich fundierte Regulierung: Pflanzensorten, die auch auf natürliche Weise oder durch konventionelle Züchtung entstehen könnten, sollten nicht als GVO reguliert werden. 
  • Gerechte Innovation: Sortenschutz einschließlich des Züchterprivilegs ist ein bewährtes System für einen ausgewogenen Schutz geistigen Eigentums und sollte, wo immer möglich, angewendet werden.  
  • Transparentes geistiges Eigentum: Patente sollten, wenn nicht vermeidbar, so eng wie möglich definiert werden. Patentinhaber sollten verpflichtet werden, Patente auf Merkmale offenzulegen und sich an Lizenzierungsplattformen mit fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien Bedingungen zu beteiligen. 
  • Auch öffentliche Züchtungsprogramme, kleine Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen sollten über eine faire und zugängliche Lizenzierungen Zugang zu wichtigen Merkmalen haben. Innovation in diesem Bereich darf nicht nur einigen wenigen multinationalen Konzernen vorbehalten sein. 
  • Wir setzen uns für Kompromisse ein. Wir unterstützen Züchterrechte und zugängliche Lizenzierungsplattformen. Wir unterstützen Landwirte und Züchter, die die harte Arbeit leisten, eine wachsende Bevölkerung zu ernähren und gleichzeitig unseren Planeten zu schützen.

 

Unsere detaillierte Position mit weiteren Hintergrundinformationen findet ihr hier (englische Sprache).

 

Der Weg in die Zukunft 

Europa hat die Wahl: Es kann an überholten Regularien festhalten, die Innovation ersticken und Kontrolle zentralisieren. Oder es kann seine Agrarpolitik im Einklang mit den Werten Fairness, Nachhaltigkeit und Fortschritt modernisieren. Die Trilog-Verhandlungen bieten eine seltene Gelegenheit, die Bedingungen der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sowie zwischen Innovation und Gerechtigkeit neu zu gestalten. 

Es ist an der Zeit, klüger zu wachsen und klüger wachsen zu lassen: »Growing smarter« – Nutzen wir diesen Moment!

 

 

Der englische Originalbeitrag erschien zuvor auf der Webseite von Weplanet.org.

Hier geht’s zur Webseite der Kampagne: Fortschritt liegt uns in den Genen!

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